In der Schweiz könnte ich es mir gar nicht leisten. Aber auf Zypern sieht das ganz anders aus. Würde ich dort leben, ich würde gewiss jede Woche zum Barbier gehen, um mir den Bart stutzen zu lassen. Auch wenn man die griechische Sprache nicht beherrscht, kann man sich beim Rasieren und Haarschneiden trefflich mit dem Frisör unterhalten, wo hier doch fast alle Englisch sprechen. Die Bartpflege kostet hier so viel wie eine Tasse Kaffee in der Schweiz. Und eine Tasse Kaffee im Kafeneon kostet auf Zypern so wenig, dass man gerne lange inmitten der Gäste sitzen bleibt und sich mehrere Kaffees auftischen lässt. Während sich der Unterhaltung mit dem türkischen Coiffeur in der Schweiz sprachliche Stolpersteine in den Weg stellen, lässt sich auf Zypern wunderbar über die Invasion der russischen Tycoons, die sich in Zypern grosse Liegenschaften kaufen, über die ausbleibenden Touristen, über die Schuldenpolitik, über die Rettung der zypriotischen Banken und über die Zweiteilung der Insel unterhalten. Man sitzt auf einem alten Frisörstuhl, der schon seit den 50er Jahren seinen Dienst tut, hält die Augen geschlossen, spürt, wie das Messer des Barbiers rund um den Bart die Konturen nachzeichnet und unterhält sich über das Geschehen auf der Insel. Viel muss man gar nicht wissen. Man muss nur die richtigen Fragen stellen und schon entwickelt sich eine Unterhaltung, die länger dauert als die Arbeit des Frisörs. Denn Freunde des Barbiers, die bloss vorbeikommen, um sich im kleinen Salon hinzusetzen, einen Tee oder einen zypriotischen Kaffe (man bestelle ja keinen türkischen Kaffee!) offerieren zu lassen, mischen sich im Gespräch ein. Jeder kennt auf der Insel jeden, jeder hat einen Cousin oder Onkel, der bei der Post, bei der Bauverwaltung oder bei einem der grossen Weinbauern arbeitet. Der Bartscherer wedelt zum Schluss kräftig mit seiner Bürste über die Jacke seines Klienten, der anschliessend auch auf dem alten Sofa Platz nimmt, sich einen kleinen Kaffee offerieren lässt und hier sitzen bleibt, um sich an der Fortsetzung der Unterhaltung zu beteiligen, während sich der nächste Klient auf dem Frisörstuhl das Kopfhaar schneiden lässt. Und so dauert der Besuch beim Barbier länger als zwei Stunden. Kommen Sie morgen wieder, sagt der Inhaber des kleinen Frisörladens. Kommen Sie zu einem Kaffee vorbei! Nächsten Montag komme ich wieder, sage ich dem Frisör, denn jeden Tag hier sitzen und sich lange unterhalten lassen, wäre nun doch zu viel.
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