Immer zur Buchmessezeit hat Frau Funke Besuch. Seit dreizehn Jahren schon. Seitdem ihre Tochter von Leipzig nach Freiburg umgezogen und ihr Mann verstorben ist, vermietet sie das frühere Kinderzimmer an Schriftsteller, die die Messe besuchen. Und weil sich die Autoren bei ihr wohlfühlen, hat es sich herumgesprochen, dass man bei ihr im dritten Stock an der Hinrichsen-Strasse übernachten kann. Vor drei Jahren hat sie sogar erstmals ihr Schlafzimmer hergegeben, weil ein Stammgast, ein Autor aus der Schweiz, eine Partnerin mitgebracht hat. Ob sie seine Frau war, weiss Frau Funke nicht, sie hat die beiden nicht danach gefragt. Und als derselbe Autor ein Jahr später alleine ankam, getraute sie sich nicht zu fragen, weshalb seine Begleiterin nicht mitgekommen ist. Das Badezimmer betritt Frau Funke morgens erst nachdem ihr Gast die Wohnung verlassen hat. Die Zeitung legt sie ihren Gästen morgens hin, um selber sie erst später zu lesen. Und wenn ihr Gast spätabends von einer der vielen Lesungen zurückkommt, dann setzt sie sich noch hin, um mit ihm ein Glas Wein zu trinken. Manchmal kommt es vor, dass ein Gast ihr erzählt, wie der Tag an der Buchmesse war. Es ist schon vorgekommen, dass ein Gast ihr sein Buch mit einer handgeschriebenen Widmung überreicht hat. Gelesen hat sie die vier geschenkten Bücher jedoch nicht. Einer ihrer Gäste, das hat er ihr erzählt, hat versucht, sein Manuskript an der Buchmesse mehreren Verlegern schmackhaft zu machen und ist noch vor Ende der Messe deprimiert nach Hause gefahren. Gerne hätte sie diesen Text gelesen, wo doch der Schriftsteller mit einem Frachtschiff von Hamburg nach Australien unterwegs gewesen ist. Einer anderer Gast, der mehrere Lesungen im Rahmen von „Leipzig liest“ absolviert hatte, gab ihr zum Abschied und zum Dank zwei dunkelblaue Zuckergefässe, die früher eine Tintenfassgarnitur gewesen sein müssen. Hannelore Funke war gerührt, als er ihr die beiden Fässchen beim Frühstück überreichte. Ein Jahr später aber eröffnete ihr ein anderer Gast, dass die beiden Zuckerbehälter wohl im Café der ‚Schaubühne Lindenfels’ geklaut worden seien. Hannelore Funke mag nicht daran glauben, dass ein Schriftsteller klaut, weshalb die ehemalige Tintenfassgarnitur auf ihrem Esstisch immer noch steht und weiterhin stehen wird.
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