Reisen mit Max

In der StrassenbahnAlle zwei Jahre fahren Max und ich weg. Wir verbringen jeweils eine Woche in einer fremden Stadt. Es muss eine grosse Stadt sein. Paris. London. Amsterdam. Triest. Istanbul. München. In Lissabon waren wir auch schon. Nur bei Neapel konnten wir uns nicht einigen. Max wollte hin. Ich mochte nicht. Esther und Vera kommen nicht mit. Männerferien. Vera war schon eifersüchtig auf diese Männerferien. Als Max vor vier Jahren Vera zu verstehen gab, dass wir beide nach München fahren werden, da beharrte Vera darauf, vorher mit Max nach München zu fahren. Max gab nach, die beiden weilten zwei Tage in München, es waren keine zwei sehr gute Tage. Max ist Langschläfer. Mich nennt er „Early Bird“. Max erscheint im Frühstücksraum kurz vor zehn, knapp bevor das Frühstücksbuffet abgeräumt wird, genau dann, wenn ich von einem langen Morgenspaziergang zurückkomme, um mit ihm am Frühstückstisch meinen zweiten Kaffee zu trinken. Max und ich haben sehr unterschiedliche Reisevorstellungen. Zwar einigen wir uns schnell auf eine Stadt, die wir besuchen wollen. Aber dann: Max weigert sich, vorher oder während des Aufenthalts in der fremden Stadt einen Reiseführer zu konsultieren. Ich komme bereits mit zwei Reisebüchern an. Wir schliessen Kompromisse. Am ersten, dritten und fünften Tag ist Max unser Guide. Am zweiten, vierten und sechsten lege ich unser Programm fest. Das ist beschlossene Sache. An den Maxtagen, so nennen wir sie, verlassen wir gegen elf Uhr das Hotel. Planlos. (Max ahnt nicht, was ich seit morgens um sieben schon alles gesehen habe). Max will nicht, dass ich für uns zwei eine Gehrichtung festlege. Max geht dann einer inneren Intuition folgend. Wir flanieren planlos durch die jeweilige Stadt. Max hätte ohne mich den Topkapi verpasst. Und die Pinakothek der Moderne. Und die wunderbare Schutzkirche „Onze lieve heer op zolder“ in Amsterdam. Ich gebe zu, dass Max die bessere Nase hat für gute Restaurants. Ich weiss nicht, wie er das schafft. Ich muss den Baedeker oder den Guide Michelin konsultieren, wenn ich die lokale Küche testen will. Max findet die weitaus besseren Lokale als der Reiseführer, es sind stets die schöneren Bistros und Restaurants als diejenigen, die ich anpeile. Als wir vor drei Jahren in Brüssel ankamen, hatte Max bloss einen langen Ausdruck von Wikipedia zu Brüssel dabei. Keinen Stadtplan, keine Tourenvorschläge. Ich hatte Max in Brüssel vorgeschlagen, eine geführte Stadttour mitzumachen. Max winkte ab und ich fuhr dann alleine, während Max in einem Bierlokal auf mich wartete, wo er mit Einheimischen ins Gespräch über belgische Biere kam, die uns dann zu sich zum Abendessen einluden. Fred und Tess Van Laeren sind heute noch mit uns beiden befreundet. Ich gebe zu, sie waren seine Entdeckung. Max macht mich unsicher. Das habe ich ihm schon gesagt. Ist wohl seine Art zu reisen, die bessere? Max kennt eine solche Unsicherheit nicht, auch wenn ihm schon einmal in Lissabon bei einer ungeplant spontanen Wanderung im Stadtteil Alfama das Portemonnaie samt Kreditkarte und Personalausweis geklaut wurden. Kürzlich sassen wir in Amsterdam in der Strassenbahn der Linie 26 und zwei Engländerinnen breiteten umständlich den grossen Stadtplan aus und begannen sich zu streiten, ob die Linie 26 nun nach Yburg oder an den Olympiastadion fährt. „Ohne Stadtplan geht’s leichter“, sagte Max der einen Dame. „Fragen Sie doch einen anderen Passagier, wie man zum Stadion kommt, ist doch viel einfacher als einen so grossen Stadtpan zu konsultieren“. Max mag historische Gebäude. Ich liebe moderne Bauten. Max hat tiefen Blutdruck, ich auch. Max mag keine Krimis, ich auch nicht. Max und ich verreisen immer noch alle zwei Jahre für die Dauer einer Woche. Max und ich sind so verschieden, aber offenbar viel ähnlicher jedenfalls, als Sie sich jetzt denken.

 

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