Stil (2)

Der Zeitpunkt für eine Veränderung war gekommen: Mit 60 sollte vieles anders werden. Alles, das wusste er, konnte nicht anders werden. Aber vieles. Sein Leben sollte jetzt stilvoll sein, stilvoller. So wie andere bei einzelnen Weinsorten Erstaunliches über Aroma- und Geschmacksnuancen oder über einzelne Winzer und Traubensorten erzählen können, so wollte er in Zukunft das, was ihn umgibt, in schönen Sätzen beschreiben können. Er begann, sich umzuschauen, er machte sich auf, Objekte zu sammeln, die andere schön und stilvoll fanden, die zu ihm passen könnten und über deren Herkunft und Material er würde erzählen können. Er fing an, Kataloge und Zeitschriften zu konsultieren. Er hatte gelesen, dass ‚Glashütte’ weltweit eine der renommiertesten Luxusuhrenfirmen sei. Es begann nach der Lektüre eines bebilderten Artikels in seiner Zeitung mit einer Armbanduhr, einer ‚Tangente’ Nomos von Glashütte mit Handaufzug und ohne Datum, etwas Klassisches sollte es sein. Die Geschichte des Uhrenherstellers gefiel ihm. Und als die Verkäuferin ihm sagte, dass es zur Nomos ein Buch gebe, war der Entscheid gefallen. Als er zwei Tage nach dem Kauf in einem Café von einer Dame am benachbarten Tisch auf seine neue Uhr angesprochen wurde, wusste er, dass er auf dem richtigen Weg war. In einem Schreibwarengeschäft entdeckte er eine schwarze ‚Sheaffer Legacy Heritage’ in Sterlingsilber. Das letzte Mal hatte er von 45 Jahren mit einer Füllfeder geschrieben. Eine Füllfeder mit einem Converter und nicht mit Tintenpatronen, davon war er nach dem Gespräch mit der Verkäuferin überzeugt, ist weit mehr als ein persönliches ‚Ausdrucksmittel’. Es sollte eine Feder sein, die nicht jedermann hatte, keinesfalls eine Pelikan, keine Rotring, keine Parker oder Waterman. Er benutzte die neue Feder überall, sogar die farbigen Einkaufszettel beschrieb er fortan nur noch mit der ‚Legacy Heritage’ und kam sich dabei vor, als würde er Gedichte schreiben. Er sagte auch jenen, die ihn nicht danach fragten, dass „die Sheaffer“ eine „klassische Feder“ sei. Als nächstes kam ein Notizbuch hinzu, ein handgefertigtes Notizbuch von Chiemsee in schwarzem Leder mit einer Randverstärkung aus vernickeltem Blech gegen Stoss und Stauchungen gefeit. Nicht nur die kleinen Accessoires sollten ihm eine andere Ausstrahlung verleihen, auch sein Auftritt sollte anders werden. Es fing an mit einer Roadsterjacke aus Pferdeleder französischer Herkunft, chromgegerbt, das Material richtig durchfärbt und nicht einfach mit Farbe zugespritzt, was dafür sorgt, sagte der Verkäufer, dass der schwarzbraune Farbton wie von innen heraus leuchte und die Spuren eines Pferdelebens nicht von der Oberfläche des ansonsten sehr empfindlichen Materials verschwinden. Und weil die Tasche stilvoll gefüllt werden musste, erstand er sich zusätzlich zu einem nachtschwarzem Kugelschreiber mit der Markenaufschrift PhD noch einen Messograf, einen Kugelschreiber, der gleichzeitig als Lineal, als Messschieber für Aussenmasse und als Reifenprofilmesser sowie als Hilfsmittel zur Ermittlung von Gewindedurchmessern dient. Und damit seine neuen Schreibgeräte ja nicht beschädigt werden, gehörte noch die Anschaffung einer Stiftrolle aus Leder dazu mit fünf Stifttaschen, davon zwei grosse, die auch dickleibigen Stiften Platz bieten. Er mochte diese stilvollen Objekte und er zeigte sie auch gerne. Weshalb er sich eine mechanische Schreibmaschine der Marke Olympia kaufte, wusste er zunächst nicht. Sie gefiel ihm einfach. Freunden, die ihn besuchen würden, würde er erzählen, dass er sie für Formulare und für die Beschriftung von Briefumschlägen benötigte. Dass er seit kurzem pensioniert war und deshalb wohl nicht mehr viele Umschläge zu verschicken hatte, daran dachte er nicht. Jetzt war er in Sachen Schreiben so gut ausgerüstet, dass er sich anderen Bereichen zuwenden konnte. Die Beilage seiner Sonntagszeitung mit dem Titel ‚Stil’ half ihm weiter: Gegen den Regen schaffte er sich einen Australian Professional Riding Coat in „three quarter length“. Wie gern er das aussprach: „Three quarter length“. Alles an ihm sollte fortan speziell, zurückhaltend auffallend, stilvoll und individuell sein. Um sportlich und jünger als seine 60 Jahre auszusehen, gehörten jetzt ‚Devold Nansen Troya’ Universalpullover in blau und grau zu seinem neuen Outfit. Gegen Schnee und Regen schaffte er sich einen Borsalino aus feinstem Hasenhaarfilz mit dem traditionellen Sturmband an. Und um manchmal auch etwas sportlicher zu wirken, musste noch ein amerikanischer Stetson Mercer Hut aus leichtem Wollfilz her. Hüte von Mayser durften es nicht sein, die waren zu gewöhnlich, zu wenig exotisch. Und weil man nie wissen konnte, wem man wann und in welcher Situation eines Tages begegnen konnte, musste seine gesamte Unterwäsche daran glauben: Er liess sich von einem Verkäufer dazu überreden, die beste Herrenkollektion zu erwerben. Er kaufte mehr Boxershorts und Unterhemden von Zimmerli als er überhaupt benötigte, wusste aber dafür, dass er eine Marke trug, die sich zeigen lässt. Nach den Buttondown-Hemden von van Laak im Retrostyle wandte er sich noch den Schuhen zu, auch hier entschloss er sich dazu, alle seine Schuhe auszutauschen. Wie er diese Namen mochte: Fullbrogue im Derbyschnitt, zwiegenähte Trabert Halbschuhe aus vollnarbigem Rindleder, ein Paar Budapester vom Feinstem aus der Werkstatt von Heinrich Dinkelacker. Er studierte die Prospekte genau, memorierte die Namen der Hersteller und die Geschichte der Werkstätten. Zum ersten Mal leistete er sich Schuhleisten aus Zedernholz und als Krönung nach der Anschaffung mehrerer Hosen handgeflochtene Gürtel aus der Werkstatt von Gotthold Schröder. Dass manche Freunde fanden, er wirke neuerdings so angestrengt designsüchtig wie jemand aus dem Warenkatalog von Manufactum, wusste er nicht. Niemand getraute sich, ihm das zu sagen.

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2 Antworten zu Stil (2)

  1. Angelo E. sagt:

    Hallo, ich bin mal so frei und schreibe mal was in deinen Blog. Sieht schick aus! Ich beschaeftige mich auch seit kurzem mit WordPress steige aber noch nicht durch alle Funktionen durch. Dein Blog ist mir da immer eine willkommene Anregung. Danke!

  2. eva-maria millius-imboden sagt:

    wie süffisant sich der text liest. es ist wie blättern in einem dieser edelkataloge. es führt einem vor augen, was auch noch möglich wär, was man / frau noch besitzen können müsste, so dass ganz aus dem sinn flieht, ob dies auch noch angemessen ist. wenn ich die beilage „stil“ zur sonntagspresse lese, dann erstaunen mich die stilfragen an den experten. mir scheinen sie aus einer andern welt zu kommen, aber die fragenden sind oftmals in einer richtigen not. so kommt es jedenfalls rüber. und zum glück weiss der experte immer einen rat. dieser schmale grat, wenn luxus ins dekadente kippt. auch ich ertappe mich dabei, wie diese edelwörter rascheln und klingen in meinem ohr und mich für augenblicke in ihren bann ziehn.  und alltägliches und ungerechtes und aus der wirklichen not zu wendendes verschwindet momentelang irgendwo in einer abstellkammer. als würde die welt nur aus design bestehen.

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