Deutschstunden

Dreimal in der Woche Deutschunterricht. Dagmar Föllmi heisst meine Lehrerin, eine Rockträgerin. Wunderschöne Röcke trägt sie. Glockenrock ist ein Ausdruck, den ich bald lerne. Fräulein Föllmi muss ich ihr sagen, es ist die Zeit, in der es noch Fräuleins gibt. Fräulein Föllmi ist eine junge Frau, eine Deutschstudentin, an der mich noch mehr als ihre Röcke die leichten Sommerblusen interessieren. Und noch mehr ihre flachen Brüste. Ich möchte herausfinden, ob sie einen Büstenhalter trägt oder ob sie vielleicht gar keinen Büstenhalter benötigt. Ich treffe meine Deutschlehrerin in der Wohnung ihrer Eltern, wo wir nebeneinander auf ihrem Bett sitzen. Ich muss ihr kurze Geschichten vorlesen und sie anschliessend in meinem noch unbeholfenen Deutsch zusammenfassen. Weil ich nie weiss, ob zu einem bestimmten Substantiv der Artikel ‚der’, ‚die’ oder ,das’ gehört, benutzte ich jeweils als Ausweg den mir vertrauten holländischen Artikel ‚de’, den ich möglichst undeutlich ausspreche, Fräulerin Föllmi soll nicht genau merken, ob ich ‚die’ oder ‚der’ sage. Jedes Mal findet ein Diktat statt, das anschliessend korrigiert wird. Die Diktattexte sind langweilig, und ich mag diese Sprache nicht. Auf die kommende Deutschstunde hin muss ich die fehlerhaften Vokabeln in einem Heft eintragen. Ich weiss, dass das kommende Diktat diese Vokabeln enthalten wird. Es kommt manchmal vor, dass meine Lehrerin nicht zu Hause ist, weshalb weiss ich nicht. Dann findet der Unterricht bei ihrer Mutter statt. Das ist Frau Föllmi. Ich muss ihr gegenüber am Esszimmertisch sitzen, jetzt fehlt jede Gemütlichkeit, dafür gibt es zum Schluss der Stunde eine Tasse Schwarztee und trockene Kekse. Mutter Föllmi trägt stets eine grüne Schürze, sie hat eine toupierte Frisur, am Ende der Stunde sagt sie immer „S’isch guet jetzt!“.

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Eine Antwort zu Deutschstunden

  1. emamil sagt:

    Und immer noch meinen viele Lehrpersonen, sie wüssten genau, was ihre Schülerinnen und Schüler bei ihnen lernen. Einer meiner Mathelehrer hat mir verzweifelt versucht Algebra beizubringen. Manchmal kam er sogar direkt zu mir ans Pult. Um mir eine Gleichung noch einmal zu erklären. Dann sah ich, dass auf seinen Brillengläsern feiner Kreidestaub lag. Und seine Augen blinzelten, wenn er mit mir sprach. Daran kann ich mich noch genau erinnern. Algebra jedoch hat in meinem Leben nie eine bemerkenswerte Rolle gespielt.

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