Er erklärt. Das war wohl immer schon so gewesen. Und sie hört zu. Sie sind seit Stunden im Museum. Sie möchte schon seit einer Stunde im Museumscafé sitzen, sie hat Durst. Und sie würde auch gerne etwas essen. Er aber hört mit seinen Erläuterungen nicht auf. Er zeigt ihr die Bilder, die sie ja auch sieht. Er bewertet sie. Dabei findet sie das eine Bild schön, ein anderes nicht. Sie braucht seine Erläuterungen nicht. Er aber holt aus, beginnt bei den alten Meistern, erwähnt das Goldene Zeitalter Hollands, um dann eine Brücke zu schlagen über Kirchner zu Max Ernst und zu Martin Kippenberger. Sie hört den Ausdruck „funktionale Aktionsstruktur“, dann fällt der Name Beuys und der Begriff „abendländische Schicksalsbewältigung“. Sie ist müde, sie mag nicht mehr zuhören, er aber lässt nicht los. Was soll die „machtvolle Vergangenheitsverstrickung“ in Zusammenhang mit Dieter Roths Sammlung der gläsernen Wasserbehälter aus dem Hafenbecken von Marseille, sie weiss es nicht, es interessiert sie nicht. Ihm zuliebe hält sie die Augen offen. „Diese unsere Bildungsverpflichtung“, sagt er, „erfordert eine unerschütterliche Erinnerungsaussage“. Was das wohl sein soll? Jetzt ist sie eingenickt, sie versteht ihn nicht. Und er merkt nicht, dass sie eingeschlafen ist. Er zeigt auf ein weiteres Bild, es ist eine Fotografie von Meret Oppenheim. „Sie wäre dieses Jahr hundert geworden. Eine erhabene emanzipatorische Identifikationspersönlichkeit ist sie gewesen“. Er steht auf, geht zum nächsten Museumssaal, bleibt vor einem grossflächigen Bild von Alex Katz stehen, auf dem ein intensiv gelb leuchtendes Blumenfeld zu sehen ist. Er spricht weiter, erläutert das Bild, stellt es in einen Zusammenhang mit Bacon und Lucian Freud und merkt nicht, dass sie sitzen geblieben und nicht mitgekommen ist. Er erläutert sich selber, was er sieht, während die anderen Museumsbesucher ihn befremdet anschauen, nicht wissen, ob da wirklich ein Kunstsachverständiger unterwegs ist oder ein etwas verwirrter und exaltierter Bildbetrachter. Ich bleibe in seiner Nähe stehen, sehe das Bild von Alex Katz und weiss nicht, was dieses grossartige Bild mit einer „fortzuentwickelnden Wertesicherung“ zu tun hat. Als ich mich von ihm weg bewege und zurückblicke, sehe ich, dass seine Begleiterin, die er in der nicht endenden Kaskade seiner Erläuterungen verloren hat, nicht mehr da sitzt. Er aber geht weiter, spricht und erläutert, spricht und erläutert.
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