Wortkiesel

Ich könnte ihre Namen löschen. Ich hätte es längst tun können. Aber ich schaff’ es nicht. Erreichen kann ich sie nicht mehr, ihre Telefonnummern sind längst wieder vergeben. Vor einem Jahr habe ich es versucht. Ich habe die Telefonnummer von Albert gewählt. Albert ist vor fünf Jahren gestorben. Als der Anruf dann abgenommen wurde, bin ich so erschrocken, dass ich wirklich gefragt habe, ob ich Albert sprechen könnte. Ich sei falsch verbunden, hat die Frau am anderen Ende geantwortet. Albert? Nein, sie kenne keinen Albert. Ich habe es ein zweites Mal versucht. Diesmal war es die Telefonnummer meiner vor drei Jahren verstorbenen Mutter. „Kein Anschluss unter dieser Nummer“, hiess es. Ich könnte die Namen von Albert und meiner Mutter im Telefonverzeichnis meines Handys löschen. Aber ich lass’ es sein. Ich weiss nicht, weshalb ich mich nicht getraue, diese Namen zu entfernen. Die Nummern und die Mailadressen können mir nicht mehr dienen. Ich weiss nicht weshalb, aber ich habe meiner verstorbenen Mutter vor kurzem eine Mail geschickt. Nur ein Gruss war es. Eine Meldung, wonach unter dieser Adresse niemand mehr erreicht werden könnte, kam nicht zurück. Es gibt diese Adresse offenbar noch. Ich weiss nicht, wer diese Mail gelesen hat. Es gibt offenbar so etwas wie einen Datenfriedhof, wo man auf Grabsteine kleine Wortkiesel legen kann, wenn man an einen Verstorbenen denkt. Manchmal beim Suchen einer Telefonnummer oder einer Mailadresse stosse ich auf den Namen eines Menschen, der gestorben ist. Und es passiert mit dem Aelterwerden immer häufiger. Nein, ich will diese Namen von früher nicht löschen. Als vor kurzem der Name von Peter H. bei der Suche nach einer anderen Person auf dem Display meines Handys aufschien, dachte ich an die erste Begegnung mit Peter im Zug von Basel nach Frankfurt 1997 und an unser allerletztes Treffen vor einem Jahr in einem Café in Basel, als Peter mir erzählte, dass es ihm seit einiger Zeit besser gehe.

Dieser Beitrag wurde unter Namenkunde veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert