Auf nach Paris

Immer wenn ich die Liste der Ausstellungen anschaue, die in Paris gezeigt werden, denke ich, ich sollte wieder hin. Nein, ich müsste wieder hin. Eine einzige Ausstellung am Tag? Zu wenig. Im Centre Pompidou noch eine Woche lang Henri Cartier-Bresson. Gut, ich weiss, diese Sonderausstellungen im obersten Stockwerk des Kulturbollwerks sind überlaufen, die Luft dort ist schlecht, vor lauter Besuchern werde ich die Fotos nicht sehen können. Aber dann entdecke ich, dass Martial Raysse ebenfalls im Pompidou gezeigt wird, dieser Maler-Bildhauer-Installationskünstler zwischen Fischli-Weiss und Tinguely, zwischen dem Isländer Erro und Niki de Saint Phalle ist zwar in den letzten Jahren etwas kitschig geworden. Aber ich müsste hin. Die etwas süsslich gewordenen Werke ab 2007 könnte ich ja sein lassen. Am ersten Tag also die beiden: Cartier-Bresson und Raysse. Ein Blick ins Pompidou-Programm sagt aber, dass ich am folgenden Tag nochmals hin müsste: Bernard Tschumi zuerst. Und dann könnte ich mir Christian Marclays Installation „The Clock“ anschauen, endlich. Denn in Zürich habe ich Marclay verpasst. Genau so verpasst wie alle die vielen anderen Ausstellungen zuhause. Offenbar müsste ich wirklich wegfahren, weil ich mir auswärts mehr Zeit nehme für Ausstellungen. Ich muss also wieder nach Paris. Gut so, Tschumi und Marclay am zweiten Tag. Für „The Clock“ muss man sich Zeit nehmen. Das sagte schon Marie-Hélène, die im Gegensatz zu mir die Schau in Zürich nicht verpasst hat. Mari-Hélène verpasst nie Ausstellungen. Wie macht sie das bloss, frage ich mich manchmal. Die beiden ersten Ausstellungstage sind also bereits verplant. Und dann entdecke ich, dass das „Grand Palais“ Bill Viola zeigt. Der Satz im Museumsprogramm, wonach man sich im Internet bereits die Karte für einen ganz bestimmten Zeitslot besorgen sollte, schreckt mich nicht ab. Und weil sie dort auch noch Ilya Kabakovs „L’Etrange Cité“ ausstellen, bleibe ich gleich im „Grand Palais“, womit der dritte Tag bereits fixiert wäre. Politische Aktualität muss auch sein. Also auf am vierten Tag ins Musée d’art moderne de la Ville de Paris zur Ausstellung „Unbearbeitete Geschichte – Iran 1960 – 2014“, die mir die Süddeutsche Zeitung am vergangenen Wochenende ans Herz gelegt hat. Und weil das Palais de Tokyo gleich nebenan ist, muss ich noch einen Blick in die neue Ausstellung von Thomas Hirschhorn werfen. Ob da wieder jemand einen ehemaligen Schweizer Bundesrat anpinkelt? Ein Blick in den „Pariscop – L’incontournable des vos sorties“, den ich manchmal aus reiner Neugierde am Zürcher Hauptbahnhof kaufe, überzeugt mich, dass ich Verdis „La Traviata“ in der Opéra de la Bastille unbedingt besuchen müsste. La Traviata war die erste Oper, die ich in meinem Leben gesehen habe. Und weil bald 60 Jahre seit der Premiere von La Traviata verstrichen sind, wird’ ich hingehen. Egal was es koste. Leider lese ich aber im Figaro, dass alle Aufführungen bis Ende Juni ausverkauft sind. Restkarten sind an der Abendkasse ab 18.30 Uhr zu haben, wobei die Schlange der Wartenden aber ab 16.30 Uhr schon so lang sei, dass es sich eher lohne, sich andernorts nach Karten umzuschauen. Gut, dass ich gehört habe, dass alle Aufführungen von Macbeth in der Regie von Ariane Mnouchkine in der Cartoucherie bis Saisonende bereits vier Stunden nach Eröffnung des Vorverkaufs ausverkauft waren. Ein Blick ins Netz macht klar, dass auch „The Valley of Astonishment“ in der Regie von Peter Brook im Theater „Bouffes du Nord“ total ausverkauft ist. Man sollte nach Paris, sagte Esther ja kürzlich. Eigentlich sagte sie, man sollte WIEDER nach Paris. Dabei waren wir noch nie zu zweit in Paris. Ich schau’ nochmals die Liste der Ausstellungen an, die ich verpassen könnte. Sie hört nicht auf: Im Institut du Monde arabe wird gerade die Ausstellung „Il était une fois l’Orient Express“ gezeigt. Welch’ eine Versuchung! Und anschliessend ein Besuch im Hamam. Und nachmittags noch als thematische Fortsetzung die Nackten und Schönen von Robert Mapplethorpe im Musée Rodin anschauen. Man müsste hin. Aber man müsste Zeit haben. Wochenlang.
Wenn aber die Wartezeit vor den grossen Ausstellungen bis zu 50 Minuten dauert, das Gedränge in den Museumssälen so dicht ist und die wirklich wichtigen Theateraufführungen alle ausverkauft sind? Mir fallen alle die Pariser Hotelzimmer ein, die ich kenne. Ich erinnere mich nicht mehr daran, wie die Hotels hiessen. Aber ich weiss ganz genau, dass jedes dieser Zimmer so klein war wie eine Besenkammer. Die Frühstücksräume waren nie grösser als Kinderzimmer und die Hotelfrühstücke waren jedesmal überzahlt. Jetzt lege ich die Zeitungen mit den Ausstellungshinweisen zur Seite, surfe noch etwas im Netz und beschliesse, ein anderes Mal nach Paris zu fahren. Am besten dann, wenn die Touristensaison vorbei ist….Wann war das schon wieder?

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Eine Antwort zu Auf nach Paris

  1. anna überall sagt:

    ob das der neue trend ist? irgendwo hin nicht zu fahren? letzthin im zug hab ich zwei leute gehört. wie sie sich, ungelogen, von bern bis zürich des langen und breiten erzählten, weshalb sie nicht nach stockholm fuhren. und beim warten beim arzt tauschten sich zwei andere ebenfalls wartende patienten darüber aus, weshalb rom doch nicht besucht wurde. mit dem gezogenen etikett auf der post auf die leuchttafel starrend, flüsterten hinter mir zwei gestalten einander halblaut die vorzüge zu, nicht nach berlin zu reisen. ein bisschen spät dran, wollte ich dann meine ferien buchen. doch dann, wie die reisefachfrau freundlich meinte: na, wohin wollen sie denn nicht verreisen, meinte ich zuerst, mich verhört zu haben. „wie bitte“, meinte ich, und sie deckte mich mit prospekten zu. „athen ist im moment sehr beliebt, nicht bereist zu werden. oder aber paris, da kann ich ihnen sämtlich ausstellungskataloge ….“ ich floh hals über kopf aus dem reisebüro. und seither sitze ich mit dem generalabonnement im zug. kreuz und quer durch die schweiz. wohin nur soll ich nicht fahren…

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