Hubert wohnt in einem Dorf. Er hat Glück. Hubert ist ein leidenschaftlicher Leser. Aber so viel lesen wie er Bücher kauft, kann er nicht, schafft er nicht. Wenn ich pensioniert sein werde, werde ich Zeit haben, alle Zeit dieser Welt für meine Bücher. Das hat Hubert in all den Jahren immer wieder gesagt, in denen er am Gymnasium unterrichtet hat. Vor drei Jahren ist er pensioniert worden. Und noch immer kauft er mehr Bücher ein als er lesen kann. Hubert hat Glück. Eine Erbschaft hat es ihm ermöglicht, neben dem Einfamilienhaus, in dem er mit seiner Frau lebt, einen Anbau erstellen zu lassen. Huberts Bücher sind seit zwei Jahren in einer Art Dependance. Im ersten Stock seines Wohnhauses führt eine Tür ins Nebenhaus, wohin Huberts Bücherwelt umgezogen ist. Hubert weiss nicht genau, wie viele Bücher er besitzt. 20 000 werden es sein, vielleicht noch mal 5000, sagt er. Hubert weiss ganz genau, wo welche Bücher stehen. Zeitgenössische Schweizer Autoren? Kein Problem. Exilliteratur der Jahre 1933 bis 1945? Schon steht er neben einem voll beladenen Bücherregal bei den Büchern der Exilautoren. Besonders stolz ist Hubert über eine Wand mit psychoanalytischer Literatur. Eine Bibliothekskartei führt Hubert nicht. Zwei Mannjahre, sagt er, müsste wohl eine gelernte Bibliothekarin investieren, um alle Titel aufzunehmen und zu katalogisieren. Hubert leiht seine Bücher Freunden aus. Einen Leihzettel müssen sie ausfüllen. Und sich in ein Heft mit Namen, Titel des ausgeliehenen Buchs und Datum eintragen. Ich werde sie doch nicht alle lesen können, hat mir Hubert bei meinem letzten Besuch im Annex gesagt. Zwei Jahre nach seiner Pensionierung ist sein Bücherhaus hoffnungslos voll. Die Bücher bilden mittlerweile viele kleine Türme auf dem Boden seines Bücherhauses. Ich muss Bücher entsorgen, hat er mir gesagt. Aber er bringt es nicht über sein Herz, Bücher wegzugeben. Lege sie doch der Altpapiersammlung bei, habe ich ihm vorgeschlagen. Geht nicht, hat er geantwortet. Bring sie der Dorfbibliothek, lautete mein nächster Vorschlag. Unmöglich. Denn was würden da die Bibliothekarinnen sagen, die ihn kennen. Als ich ihm vorschlug, in der kalten Jahreszeit Bücher in den Kachelofen zu schieben, da warf er mir Nazimethoden vor. Wir haben trotzdem einen Weg gefunden, um Platz für neue Ankäufe zu schaffen. Jeden Mittwoch besuche ich Hubert. Wir trinken einen Tee, essen Kuchen und unterhalten uns. Nach zwei Stunden verlasse ich Huberts Haus. Jedes Mal mit einer Einkaufstüte. Zehn Bücher pro Besuch, lautet unsere Abmachung. Ich bin Huberts Buchentsorger. Denn Hubert bringt es nicht fertig, Bücher aus seinem Haus zu weisen. Hubert will nicht wissen, wohin ich die Bücher trage, wem ich sie gebe. Ich verlasse jeweils sein Haus, begebe mich zur Post, wo ich die Fächerhalle betrete und dort auf dem Tisch, auf dem die Postfachbenützer ihre Post sortieren, Huberts Bücher hinlege. Zu Beginn habe ich einen Zettel hingelegt, auf dem „Zum mitnehmen“ geschrieben stand. Mittlerweile muss ich das nicht mehr. Die Benutzer der Fächerhalle scheinen sich an die Bücher gewöhnt zu haben. Aus reiner Neugierde komme ich jeweils am nächsten Tag wieder vorbei, um nachzuschauen, ob Huberts Bücher noch daliegen. Manchmal bleibt ein Buch liegen, das ich mitnehme, um es dann in der Strassenbahn auf dem Nebensitz liegen zu lassen.
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