„CityNightLine. Wagen 267, Bett Nr. 41 unten.“ steht auf seiner Fahrkarte. Es ist Sonntagabend. Um 18.26 Uhr ist er in Görlitz abgefahren. Kurz nach 21 Uhr wird er wieder in Dresden den Nachtzug nehmen. Es ist immer entweder Wagen 267 oder Wagen 266, die aus Prag kommen und nach Zürich unterwegs sind. Es ist jedes Mal ein Zweierabteil, Schlafwagen zweiter Klasse. Er legt den Rucksack auf sein Bett, dann steht er im Gang und unterhält sich noch eine Weile mit anderen reisenden Männern. Wenn Leipzig vorbei ist, werden sie sich zum Schlafen hinlegen. Der Nachtzug ist sonntags immer bis auf den letzten Platz belegt. Man kennt sich, denn man trifft sich regelmässig. Er selber ist Elektromonteur. In Riesa steigt ein Montagearbeiter ein, in Erfurt ein Automechaniker. Sie sind alle zwei oder drei Wochen unterwegs zur Arbeit. Nachtfahrt in den Süden. Er kennt seinen zweijährigen Sohn nicht wirklich, denn er ist bloss zweimal im Monat übers Wochenende in Görlitz. Er lebt heute mehr in Pratteln bei Basel in einem Mansardenzimmer im Dachgeschoss eines alten Mehrfamilienhauses. Eine Toilette gibt es auf diesem Stock und eine Dusche. Sein Zimmer ist eng, ein Kleiderschrank, ein Bett, ein Tisch, ein Stuhl. Eine Küche gibt es hier unter dem Dach nicht, er hat einen Tauchsieder, die Tasse steht auf dem Stuhl, das Wasser holt er im Duschraum, den er ebenso wie die Toilette mit einem Lageristen aus Eisenach teilt, auch er unterwegs zwischen der Familie im Osten Deutschlands und der Arbeit in der Schweiz. „Nein, ich habe keine Freunde in der Schweiz“, hat er mir erzählt, als wir uns im Gang des Schlafwagens kennenlernten. In Basel arbeitet er, Arbeitsbeginn ist um halb sieben. Nur am Montag alle zwei Wochen darf er um 9 Uhr anfangen, wenn er von Zuhause kommt. Und er arbeitet dann bis 19 Uhr. An den übrigen Werktagen steht er kurz nach sechs Uhr früh in Pratteln an der Tramhaltestelle, denn er muss in die Stadt fahren. Aufstehen um viertel nach fünf. Er geht kaum aus, er will Geld sparen. Man verdiene gut in der Schweiz, sagt er, sehr gut. Aber das Leben in der Schweiz sei teuer. Im Rucksack hat er wieder Lebensmittel dabei: Dunkles Brot, Wurst, Käse. Lebensmittel seien billiger in Deutschland. Ein kleiner Kühlschrank steht im Zimmer und ein Fernsehgerät. Er telefoniert selten mit seiner Frau. Und das Ankommen zuhause ist jedes Mal so schwierig. Er will ausschlafen, er will gute Stimmung, er will mit ihr schlafen und nochmals schlafen und dann wieder. Und Christian, der kleiner Sohn, soll ruhig sein, er mag nicht schon wieder mit ihm spielen. Seit vier Jahren schon fährt er hin und her, ist alle zwei Wochen im Schlafwagen anzutreffen. Jede zehnte Fahrt ist gratis, er profitiert vom Vielfahrerrabatt. Sein Chef ist mit ihm zufrieden. Die Arbeit ist anstrengend. Hartz IV und alle die anderen Begriffe kümmern ihn wenig, er hat Arbeit, seine Frau will nicht in die Schweiz umziehen. Auch nicht nach Süddeutschland. Ihre Angst ist, dass er in Basel eine andere treffen könnte. Seine Angst ist, dass sie sich in Görlitz mit einem anderen Mann anfreunden könnte. Kürzlich hatte sie den Eindruck, er könnte eine Andere gefunden haben, das war, als er ihr mitteilte, er werde jetzt nicht alle zwei Wochen nach Hause kommen, weil sie jetzt Mehrarbeit hätten. Sie war noch nie in seinem Mansardenzimmer in Pratteln bei Basel. Und er hat sie noch nie aufgefordert, mit Christian zu ihm zu kommen. Das macht sie unsicher.
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Pendlergeschichten. Es sind so viele Arbeitspendler zwischen Sachsen und der Schweiz, zwischen Brandenbrg und Bayern unterwegs. Immer am Sonntag sind die Nachtzüge zwischen Dresden und Zürich und von Berlin nach München ausgebucht. Und immer am Freitag sind die Schlaf- und Liegewagen von Süden nach Nordost bis zum letzten Platz belegt: Man ist wieder unterwegs nach Hause und zur Familie. Nachtzüge sind jene Orte, wo man sich begegnet und Geschichten austauscht.