Pulver

Wie sehr er sich auf diese Reise gefreut hatte. Ein halbes Jahr zuvor schon hatte er begonnen sich einzulesen. Er las das Neue Testament zum ersten Mal aufmerksam durch. Er kaufte sich Bücher über das Heilige Land, er achtete in der Zeitung auf jede Entwicklung in Israel und Palästina. Irgendwann war sogar das seltsame Gefühl aufgekommen, er müsse gar nicht mehr dorthin reisen, so vertraut waren ihm die heiligen Stätten geworden, dass sogar der Gemeindepfarrer, der die Pilgerreise leiten würde, ihm kaum wirklich neue Details über die biblischen Orte würde erzählen können. Sie besuchten Nazareth und Tiberias, sie sahen sich Kapernaum, Jericho und Bethlehem an, sie weilten am Jordan und bestiegen den Berg Tabor, sie waren von der Bibel ergriffen und sie fühlten sich an all den Orten wohl, an denen Jesus gepredigt und Wunder gewirkt hatte. In Safed besichtigten sie die zwölf Synagogen, das bestickte jüdische Käppchen kaufte er sogar zur Erinnerung an diesen Ort. Nur an Jerusalem denkt er im Nachhinein ungern. Er musste es zuhause überlesen haben. Jedenfalls war er nicht darauf vorbereitet. Als die Reisegruppe unter der Leitung des Pfarrers die Omar-Moschee betreten wollte, mussten sie alle ihre Schuhe ausziehen und in einem Gestell am Eingang des Gotteshauses deponieren. Erst als sie schon im Innern der blau leuchtenden Moschee standen, kam ein aufgeregt gestikulierender Mann auf ihn zu, den er nicht verstand, worauf der fromme Araber noch aufgeregter wurde, laut auszurufen begann, den Schweizer umzustossen versuchte, dann auch wirklich handgreiflich wurde. Jetzt erst erkannte der Pilgerreisende, dass er auf den kostbaren Teppichen, die den Boden der Moschee bedeckten, Spuren hinterlassen hatte, weisse Spuren von Fusspuder, das er morgens in die Schuhe gestreut hatte.

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Eine Antwort zu Pulver

  1. Tiaretta sagt:

    C’est un joli texte. Je me demande où vous trouvez ces idées. On se dit qu’il est impossible que ça arrive, et puis on est séduit par le comique de la situation et on pense que oui, pourquoi pas, un religieux pourrait se mettre dans tous ses états à cause de quelque chose d’aussi banal. Tiaretta

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