Gelb

„In der Wohnung wird nicht geraucht“. Das war Mutters Satz. „Geraucht wird auf dem Balkon“. Das Schlafzimmer meiner Eltern hatte einen Balkon. Ein runder Tisch, vier Stühle und graue Blumenkästen gehörten zum Balkon. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, welche Blumen in den vier oder fünf Blumenkästen waren. Heute bilde ich mir ein, es seien rote Geranien gewesen. Vor dem Frühstück lag bereits die in einem Gummiband gerollte Tageszeitung auf dem Balkon, der Zeitungsjunge warf sie frühmorgens hinauf und verfehlte nur selten das Ziel. Vater sass dann auf dem Balkon, rauchte und las die Zeitung. Dann setzte sich Mutter hinzu, sie brachte die Kaffeekanne und zwei Tassen mit. Und ihre Zigaretten. Bevor sie die Wohnung verliessen, rauchten meine Eltern morgens schon je drei bis vier Zigaretten. Abends vor dem Essen und nachher rauchten sie wieder. Und sie rauchten auch während der Arbeitszeit. Ich kann mich gut an den vollen Aschenbecher auf Vaters Bürotisch erinnern. Und ich sehe noch Mutter in der Buchhandlung, wie sie Kunden bedient und dabei eine Zigarette hält. Zwei bis drei Päckchen Players oder Stuyvesant haben beide damals im Tag geraucht. Weshalb die Wohnung rauchfrei bleiben musste, weiss ich nicht. Die Kippen warfen sie über das Balkongeländer in den Garten hinunter. Der Garten war verwildert, niemand hielt sich je im Garten auf. Wenn zweimal im Jahr der Gärtner und sein Gehilfe im Garten arbeiteten, hörte ich sie fluchen, weil das Gras voller Zigarettenkippen war. Vaters Zeigefinger, Mittelfinger und Daumen waren stets zigarettengelb. Ich weiss nicht, wie Mutter es schaffte: ihre Nägel hatten nie eine gelbe Tönung angenommen. Die Balkondecke hatte in den elf Jahren, in denen wir an der Cordobastrasse wohnten ihre weisse Farbe verloren und wurde Rauchgelb.

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert