Erste Museumsbesuche. Ich bin elf oder zwölf und meine Eltern drängen mich mitzukommen: Die Alte Pinakothek in München, das Rijksmuseum in Amsterdam. Mutter und ich schleppen uns nach einer Stunde schon müde durch die Museumssäle, Vater muss sich jedes Bild genau anschauen, er hat zu jedem Bild eine Bemerkung. Vaters Ausdauer ist unerhört. Er sieht Details, die wir nicht erkennen. Und er erklärt gerne, nennt Maler bei ihrem Namen, spricht von Schulen und weiss sogar manchmal, welcher Maler bei welchem Meister gearbeitet hat. Mutter und ich müssen uns immer wieder hinsetzen. Vaters Stehvermögen ist bewundernswert. Vater liebt die ‘Alten Meister’ über alle: Jesus als Kind, Maria mit dem Jesuskindlein, die Verkündigung mit dem schwebenden Engel, die drei Weisen aus dem Morgenland; Josef, Maria und Jesus, der heilige Christopherus beim Überqueren des Jordans, Jesus im Tempel, die Kreuzigung in Jerusalem: Überall ist das Heilige Land zu sehen, es ist Palästina, die Landschaft, in der ich die Grundschule besucht habe. Im Hintergrund Jerusalem oder Bethlehem, Nazareth oder Kapernaum. Und ich kann nicht verstehen, wie die ‘Alten Meister’ jenes Land gemalt haben, das ich so gut kenne. Wie kamen die bloss auf diese Burgen und Schlösser, auf diese Landschaften voller Grün und voller Wälder? Wie ahnungslos oder schwachsinnig muss man sein, um aus der kargen Landschaft, die ich kenne, Landschaften zu gestalten, in denen die Bäche so viel Wasser führen. Wie kann man aus dem Jordan einen breiten Fluss machen? Und wo ist der gelbe Wüstensand auf diesen Bildern? Ich glaubte diesen Malern nicht, ich mochte diese Bilder nicht, denn das ‘Heilige Land’, das sie zeigten, sah in meiner Realität nicht so aus. Ich weigerte mich, mir diese Bilder anzuschauen, diese Fälschungen. Mein Vater konnte mich nicht davon überzeugen, dass die Maler, die noch nie im ‘Heiligen Land’ waren, ihre ihnen vertrauten europäischen Landschaften übernahmen, weil sie keine Möglichkeit hatten, Palästina zu besuchen. Es dauerte sehr lange, bis ich die ‘Alten Meister’ auch zu mögen begann.
Michael Guggenheimers Website:
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Da ist ein Kind, das sich über die grossen Meister hin weg setzt, weil es sieht, dass diese seine Welt so anders zeigen. Es lässt sich nicht einfach verführen. Es hält an seinen Bildern fest. Und stellt so kluge Fragen. Die davon zeugen, wie genau es die eigene Heimat betrachtet und kennt, wie lieb und teuer sie ihm ist. Beharrlich weigert es sich hinzuschauen. Und wie schön, wenn ein Vater dies aushält, nicht von seiner Begeisterung ablässt und sein Kind und dessen Mutter trotzdem immer wieder mitnimmt. Auch er beharrlich. Bis eines Tages, nach immer wieder hin gehen, hin schauen, hinführen, hinhören, ein neues Sehen möglich wird. Und das Andere auch erkannt wird.
voici comme réaction un poème de Jacques Prévert:
AU MUSÉE DU LOUVRE
La nuit, un gardien se réveille en sursaut,
il a entendu du bruit.
Mais il murmure en souriant: «Ce n’est rien, le fou rire de la Joconde,
ça la prend de temps en temps.»
Et il se rendort tout content.