„Was heisst ‚Ekelpaket’ auf Hebräisch?“ „Was heisst ‚Wagenstandsanzeiger’ auf Iwrit?“. Das ist Claudia, die das fragt. Sie weiss, dass ich die Landessprache Israels spreche, dass ich hebräische Bücher in der Originalsprache lese. Wir sind wieder unterwegs in Tel Aviv und ihr fällt ein weiteres zusammengesetztes Wort ein, Claudia liebt zusammengesetzte Wörter. “Du, ich habe eine echte Frage: Wie würdest du Grabsteinplattenschänder auf Hebräisch übersetzen?“. Claudia spricht kein Hebräisch, sie ist in der Schweiz aufgewachsen, weshalb sollte sie auch Iwrit können. Ich könnte jetzt eine Übersetzung erfinden, denn wie soll sie kontrollieren können, ob ich ein Wort wirklich und richtig übersetzt habe. „Du kannst ja gar nicht so gut Hebräisch“, sagt sie, „du weißt doch nicht einmal, wie man Ekelpaket auf Hebräisch sagt“. „Was heisst ‚Kachelofensitzbank’ in deiner Sprache?“ Ich bin ratlos, ich weiss es wirklich nicht. Ich habe in Israel noch nie eine Kachelofensitzbank gesehen. „Und was heisst Borstenschwein auf Iwrit?“. „Borstenschwein gibt es nicht, du weißt doch, Juden dürfen kein Schweinefleisch essen, dieses Wort wurde aus religiösen Gründen niemals übersetzt“, gebe ich ihr zur Antwort. Claudia hat eigentlich Recht, ich weiss wirklich nicht, wie ein Borstenschwein in Hebräisch heisst. Auch für das Wort ‚besenrein’ fällt mir der hebräische Ausdruck nicht ein. Ich könnte jetzt Anne anrufen, Anne ist literarische Übersetzerin, sie könnte mir aushelfen. Claudia und ich gehen der Dizengoff Avenue entlang, auf der anderen Strassenseite ist ein grosses Schulgebäude zu sehen, es ist ein Gymnasium, es ist kein Problem, das Haus als Gymnasium zu erkennen, denn das Schulgebäude ist in Hebräisch und Englisch angeschrieben, vor dem grossen Bau stehen Schüler auf dem Gehsteig. „Du, was heisst Rektoratssekretärstellvertreter schon wieder in deiner Sprache“? Das mag ich am allerwenigsten, wenn sie „schon wieder“ oder „in deiner Sprache“ sagt. Das klingt so spitz und herausfordernd. „Das kann ich dir nicht sagen“, antworte ich, diese Funktion gibt es bloss noch bei euch in der Schweiz, hier ist alles anders, die Leute hier sind nicht so bürokratisch wie bei euch. „Pass auf, was du da sagst“, entgegnet mir Claudia. „Du erträgst es auch nicht, wenn ich mit Pauschalurteilen über Juden und Israeli komme“. Claudia hat wirklich Recht. Als wir an einer Bäckerei vorbeigehen, ‚The Hungarian Bakery“ steht in grossen Lettern über dem Schaufenster, holt sie wieder aus, Claudia weiss, dass ich süsse Nachspeisen mag: „Du, was heisst eigentlich Kaiserschmarrn auf Hebräisch?“. Jetzt bin ich ungeduldig und gereizt: „Hier gibt es diese blöden österreichischen Gerichte nicht“ gebe ich gereizt zur Antwort, hier gibt es Baklava und Milchreis, von mir aus auch türkischen Honig und Halva, aber Kaiserschmarrn kannst du vergessen“. Erst jetzt merke ich, dass Claudia gar kein schwieriges zusammengesetztes Wort gewählt hat, Kaiserschmarrn ist bloss eine süsse Mehlspeise, eine, die ich liebe. Aber Kaiserschmarrn ist österreichisch oder deutsch, von mir aus auch tschechisch oder ungarisch. „Wart’ Mal“, sag ich ihr und betrete die ungarische Bäckerei. „Was heisst Kaiserschmarrn auf Hebräisch“, frage ich den Ladenbesitzer, einen älteren Herrn, der sicher in Europa aufgewachsen ist. „Kaiserschmarrn?“. Er schaut mich verwundert an: „Hast du jemals Kaiserschmarrn bei der Hitze gegessen, die in diesem Land herrscht? Bist du wahnsinnig, du willst wissen, wie eine warme Mehlspeise heisst, die hier niemand kennt. ‚Kaiserschmarrn’ heisst das, das kann man nicht übersetzen, Kaiserschmarrn ist Kaiserschmarrn, aber das gibt’s hier nicht. Kaiserschmarrn gibt’s nicht bei uns“. „Kaiserschmarrn gibt’s nicht auf Hebräisch“ übersetze ich Claudia, er sagt “Kaiserschmarrn“ sei nie übersetzt worden“. „Hab doch immer gesagt, dass ihr mit eurem ‚Gefillten Fisch’ und diesen immer gleichen Sesampasten sprachlich und kulinarisch nicht auf der Höhe seid“. Claudia hat immer das letzte Wort.
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Genau! Und was heisst: Tante-Emma-Laden? Pfnüselküste? Lesikon? Pflanzenübertopf? Luftbildaufnahme? Glasmalfarben? Schlafmütze? Matrazenhorcher? Wanderbaustelle? Wildwechselgefahr? Doppelworteritis?
nicht einfach diese anfrage. eliezer be yehuda, der erneurer der hebräischen sprache, ist leider im jahr 1922 von uns gegangen, weshalb eine direkte anfrage bei ihm nicht möglich war. der begriff ’schlafmütze‘ wird laut einer auskunft von jakov lavi mit ’neman’man‘ wiedergegeben, eine luftbildaufnahme ist gemäss auskunft der israelischen luftfahrtbehörde ein ‚tsilum avir‘. da eliezer ben yehuda keine tante emma in seiner verwandtschaft hatte, erlaubt die zuständige wortbehörde (adresse: kikar ha’lashon 24 in tel aviv) eine übersetzung mit ‚makolet shel doda chaja‘, was so viel heisst wie ‚tante chaja-laden‘. beim ausdruck ‚pfnüselküste‘ konnte ebenso wenig eine antwort eingeholt werden wie beim begriff lesikon. handelt es sich bei lesikon unter umständen um einen umgekehrten nosikel?
Heute zum Mittagessen eine neue israelische Spezialität gehabt: Kaiserschmarrn. War köstlich und hat geschmeckt, besonders meine Frau, (die jetzt schon im Netz hebräisch herumsucht, wie man das doch noch übersetzen könnte)! Mahlzeit! Herzlich HR, Österreichischer Kaiserschmarrnkonsulatsverkoster (bite übersetzen, subito!)
Ich glaube, so exakt wie wir Deutschsprachigen will’s wirklich niemand sonst wissen, was beim Fremdsprachenerwerb für uns eigentlich ein grosser Vorteil ist. Gerade dieser Tage habe ich mit meinem englischsprachigen Freund Martin gelacht, weil für ihn der Grenzverlauf zwischen Kuchen, Torte und Cake einigermassen mirakulös und alles Süsse ausserhalb sowieso Pudding ist. Irgendwie kann ich Claudia aber verstehen –so ganz geheuer ist mir solche Einfachheit auch nicht… Für Müsliblätter und Chügelispiel finden sich sicher die korrekte Übersetzungen.
Unglaublich klasse Artikel, ich habe mich gekrümmt vor Lachen! Professionelle Übersetzer haben sicher Spaß ohne Ende, wenn sie ins Hebräische übersetzen!