Zweimal im Jahr gehen sie zu viert zum Photoautomatern am Bahnhof. Jetzt immer noch zu viert. Am 2. August und am 5. April. Begonnen hat dieses Ritual vor 18 Jahren im August am ersten Geburtstag ihres Sohnes. Damals waren sie noch zu dritt. Und seinerzeit pressten sich die beiden Eltern mit ihrem kleinen Sohn in die enge Kabine. Die Aufnahmen mussten damals noch wiederholt werden, weil der Kleine, der von Vater gehalten wurde, partout nicht nach vorne schauen wollte. Drei Jahre später wiederholte sich die Situation zu dritt, diesmal mit der kleinen Tochter. Und auch sie, damals an ihrem ersten Geburtstag, war erst in der dritten Aufnahmeserie fototauglich. „Bildertag“ nennen sie heute die beiden Tage. „Bildertag 1“ und „Bildertag 2“. Es mag unlogisch klingen, aber „Bildertag 1“ findet im August statt, am Geburtstag des Sohnes, „Bildertag 2“ ist im April, wenn die Tochter ihren Geburtstag feiert. Seitdem die beiden Kinder vier Jahre alt sind, sitzen sie alleine auf dem Drehsitz in der Pronto-Photkabine. Das Vorgehen ist seit Jahren immer gleich: Zuerst kommt das jeweilige Geburtstagskind dran, dann das andere Kind und anschliessend Mutter und Vater. Im Korridor ihrer Wohnung hängen die Passbilder: Je eine Reihe mit den Bildern der beiden Kinder und eine weitere Reihe mit Paarbildern der Eltern: Vaters Brustbild jeweils links, Mutters Porträtbild immer rechts, so liegen sie übrigens nachts nebeneinander im Bett. Die ersten Passbilder sind alle noch in Schwarz-Weiss, irgendwann wurde der Photoautomat durch einen moderneren ersetzt und hat die Zeit der Farbbilder begonnen. Was aber geblieben ist, ist das Warten auf die Bilder, der Geruch der Bilderstreifen beim Herausnehmen aus dem Ausgabeschlitz. Irgendwann ist die elektronische Stimme hinzugekommen, die nach Einwurf der Münzen Schritt für Schritt erklärt, wie man sich hinzusetzen und die Fotolinse anzuschauen hat. „Und wenn wir mal nicht mehr zu Hause wohnen, machen wir weiter“, hat der Sohn bei seinem letzten Geburtstag erklärt. Immer am 2. August und am 5. April. Jeder dort, wo er oder sie gerade ist. Und die Bilder sollen dann zu Hause im Korridor weiterhin aufgehängt werden.
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Diese Automaten sterben langsam aus, es gibt sie noch an den Bahnhöfen, aber sie sind eigentlich aus dem Stadtbild verschwunden. Es ist so wie mit den Telefonkabinen: Seit wir alle ein Handy haben, braucht niemand diese Kabinen, die die Post jetzt abbaut. Und so ist es ja auch mit der Fotografie: Jeder kann ein Bild machen, in jeder Coop- oder Migrosfiliale kann man die Bilder drucken, das geht alles ganz schnell. Ich kann mich auch noch gut an das Warten auf die fertigen Passbilder erinnern. Der Bilderstreifen stank erbärmlich. Und dann war immer diese Enttäuschung: So sehe ich doch nicht aus. Und da setzte man sich nochmals hin, machte wieder eine Bilderserie. Und wieder fand man, man gleiche einem Verbrecher, sei doch nicht so hässlich.