Es gibt Tage, an denen kaum jemand das Museum aufsucht. Vier oder fünf Besucher am Vormittag, weitere fünf am Nachmittag. Das sind die Tage, die in diesem kleinen Museum nicht aufhören wollen, Tage, an denen die Stunden zu schleichen scheinen. Er aber muss bleiben, er muss die Räume und die Bilder bewachen. Er hat dann Zeit, um sich jedes einzelne Bild genau anzuschauen. Und er schaut sie sich genau an. In jenen Stunden, in denen das Museum leer ist, steht er vor den Bildern, steht lange und erklärt sie sich, stellt zu einzelnen Bildern Geschichten zusammen, sucht nach Symbolen, auch dort, wo er keine erkennt, übt sich in langen Sätzen und gebildeten Formulierungen, legt sich Biografien einzelner Maler zurecht, auch wenn er sie nicht kennt, belebt die Ausstellungsräumen, indem er seine Erläuterungen mit lauter Stimme übt. Manchmal spricht er dann vereinzelte Museumsbesucher an, bietet ihnen Erklärungshilfen an, wenn sie von einem Raum zum nächsten gehen, legt ihnen dar, wovon dieses Bild handelt und wo jener Maler seine Ausbildung absolviert hat. Dabei kann es vorkommen, dass er sich vergisst, er holt dann schwungvoll aus, wird laut, gestikuliert mit den Armen, scheint vor einem Bild zu tanzen, berichtet vom Weg eines Künstlers, der in Mailand an der Brera und in Düsseldorf bei Beuys studiert habe. Am liebsten sind ihm die grossflächigen Formate, vor denen er zu grossen Bewegungen und bedeutungsvollen Gesten ausholt. Im Gästebuch des Museums finden sich nicht wenige Eintragungen von Museumsbesuchern, die den kunstgeschichtlich so gebildeten Museumswärter loben.
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An dieser Stelle sollte man sich fragen, wie wohl die vielen Eintragungen in das Gästebuch kamen, variantenreich, eloquent und ausladend. In ihrer schieren Menge jedoch die tatsächliche Anzahl der Besucherinnen und Besucher bei weitem übertreffend. Abends, nach 18 Uhr, wird es ruhiger im Museum, die letzten Besucher sind fort, die Museumsaufsicht setzt sich an den Schreibtisch mit dem Buch und setzt fingierte Einträge hinzu. Ja, er hat sie alle selbst geschrieben, das war meine Beobachtung, denn ich kümmere mich um raumpflegerische Aspekte, jeweils abends um diese Zeit, höre dabei den Ausführungen zu, die der Wärter manches mal noch fortführt. So lange fortführt, bis jemand das Licht ausmacht im Saal. Es gibt Tage, da hält ihn nicht einmal dies davon ab, weiterzugestikulieren. Die Nachtwache hört gebannt zu, beleuchtet die Bilder mit der Taschenlampe. Völlig neue Sichtweisen ergebe dies.