Eisbrecher

Antrittsvorlesungen sind ihre Spezialität. Das sind die öffentlichen Vorlesungen, mit denen sich neue, meist junge, Dozenten an der Universität oder an der Technischen Hochschule erstmals dem Kollegium und den Studierenden präsentieren. Sie treten immer zu zweit auf. Und sie fallen auf. Ihn nennen sie an der Uni „die Fliege“, sie heisst wegen den hochgesteckten Haaren „die Dutt“. Und das ist durchaus liebevoll gemeint. Denn sie sind ein liebenswürdiges Paar, das die Dozenten mögen. Sie fallen auf, weil sie extravagant gekleidet sind. Ein weisses Blatt Papier liegt vor ihm, er macht seine Notizen mit einem exquisiten Caran d’Ache Füllfederhalter. Sie macht ihre Notizen auf losen Blättern stets mit frisch gespitzten Bleistiften der Marke Faber-Castell . Sie schreiben intensiv mit. Und sie stellen in der anschliessenden Fragerunde Fragen, es sind immer präzise, wohlformulierte Fragen. Und sie machen während der Vorlesung Bilder. Man hat sich an der Universität und an der Technischen Hochschule schon längst daran gewöhnt, dass sie manchmal sogar gleichzeitig fotografieren. Ein Student hat ihnen allerdings zeigen müssen, wie man mit dem Handy lautlos fotografieren kann, ohne das Klicken oder Summen der Kamera zu hören. Sie sind die sogenannten Eisbrecher. Kaum ist die Vorlesung vorbei, sind sie die ersten. Immer. Sie stellen die ersten Fragen. Mal sie als erste und er als zweiter. Mal umgekehrt. Kaum dass die neue Dozentin oder der neue Professor mit dem Vortrag fertig ist, schaut der jeweilige Dekan die beiden an, hebt die Hand in ihre Richtung und schon kommt die erste Frage, frei vorgetragen ohne einen Blick in ihre Notizen. Die Spannweite ihrer Vorlesungsbesuche ist erstaunlich: „Anti- und Meta-Madrigale: Musik über Musik 
im frühen 17. Jahrhundert“, „Wildtiere als Reservoir für Hunde- und Katzenparasiten: Ein Fass ohne Boden?“, „Head in a spin: exploring the brain with MRI“ und „Wir und unsere Gefühle – wie unser Gehirn damit umgeht“ waren die Themen der letzten Woche. Eine Woche zuvor sassen sie an der Technischen Hochschule zu „Sustainable agroecosystems – from theory to practice“, „Die Bauhausarchitektur und ihr Einfluss auf die israelische Moderne“ sowie „Menschengemachte Erdbeben: Ein Fluch oder ein Segen?“. Es ist klar, dass sie sich immer wieder auf einzelne Themen vorbereiten, denn anders ist es nicht zu erklären, dass sie nach der Vorlesung über menschengemachte Erdbeben präzise Fragen über die Geothermieprojekte an der Sitter in St.Gallen oder nach der Vorlesung über Bauhaus in Israel Ausführungen über die Villa Weizmann in Rechowot und über die Villa und Bibliothek von Salman Schocken in Jerusalem machen konnten, die im Vortrag nicht einmal erwähnt worden waren. Beim anschliessenden Umtrunk sind sie immer dabei, unterhalten sich mit den Studenten und Dozenten. Die Bilder, die sie mit ihren Smartphones gemacht haben, zeigen sie aber nie. Nur soviel hat Fliege verraten: Demnächst wird es einen Blog, eine kommentierte Galerie neuer Professorinnen und Professoren, im Netz geben.

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