Es ist immer wieder dasselbe. In der Bahn von Frankfurt nach Basel oder von München nach Zürich kommen sie kurz nach Freiburg im Breisgau oder kurz vor St.Margrethen vorbei. Meistens zu zweit, manchmal zu dritt. Uniformierte Grenzwächter, die langsam durch den Waggon schreiten. Manchmal begleitet von einem Schäferhund. Sie schauen sich die Reisenden an, suchen mit ihren Blicken die Koffergestelle ab. Kaum haben sie den Waggon betreten, ist klar, wo sie anhalten werden, wen sie befragen werden. Es ist der dunkelhäutige Mann am Fenster, es wird die schwarze Frau sein. Manchmal kann es den jungen Mann in abgewetzten Jeans treffen, der mit geschlossenen Augen und mit Kopfhörern Musik hört und die Uniformierten nicht beachtet hat. Sie bleiben stehen. „Ihren Ausweis bitte!“. „Your passport, please!“, lautet die Aufforderung. Sie erwarten ein Reisedokument aus Nigeria oder Brasilien. „“Ist das Ihr Gepäck?“, fragen sie noch während der Schwarze seinen Reisepass in der Tiefe des Rucksacks sucht. Und je länger die Suche geht, umso verdächtiger wird der Farbige, der endlich seinen roten Schweizerpass hervorholt. Sie bleiben bei einem anderen Mann stehen, der aus Fernost stammen könnte. Einer der drei Polizisten hält den blauen Pass mit chinesischen oder koreanischen Schriftzeichen in der Hand und gibt am Handy die Passnummer durch. Die anderen Reisenden schauen verstohlen hinüber, der Mann muss in gebrochenem Englisch erläutern, woher er kommt und wohin er unterwegs ist. Besonders verdächtig die Frau neben der arabische Zeitungen liegen. Kein Ausweis, nur Kreditkarten, Kundenkarten und ein Bahnabo. Schwarzes Kopfhaar, dunkler Teint, sie könnte aus Bagdad oder Aleppo stammen, ist aber eine Schweizerin, Vorname und Familienname unverdächtig schweizerisch, eine Frau, die aus Interesse für den Nahen Osten Arabisch studiert hat. Sie lebt in Berlin, ist unterwegs nach Zürich und wird in strengem Ton von einem der drei Uniformierten belehrt, dass es bei ihrem Aussehen besser sei, auf Reisen einen Personalausweis dabei zu haben. Als die Grenzer weiterziehen, fällt der französische Ausdruck „Délit de faciès“. Der Schwarze mit Schweizerpass erzählt, wie er an Strassenbahnhaltestellen in Zürich einzig aufgrund seiner Hautfarbe schon mehrfach von Polizisten kontrolliert worden sei: Langsam fahren die Polizisten mit ihrem Kastenwagen an der Haltstelle entlang. Wenn er das Polizeiauto sieht, ahnt er es schon: Sie werden wieder anhalten, der Fahrer wird im Wagen bleiben, die zwei anderen werden seine Papiere sehen wollen. Er musste auch schon seine Hosentaschen leeren und sein Portemonnaie öffnen, weil sie ihn wohl für einen Kleinkriminellen gehalten haben. Die Umstehenden blicken einen dann so an, als sei man ein Drogenhändler. Die Frau mit den arabischen Zeitungen erzählt, dass sie vor einigen Monaten auf der Rückfahrt aus Frankreich nach Zürich am Grenzbahnhof angehalten worden sei, um in einem fast leeren Bürolokal befragt und fotografiert zu werden, obschon sie damals einen Pass dabei gehabt habe.
Michael Guggenheimers Website:
-
Neueste Beiträge
Neueste Kommentare
- inge reisinger bei Zimmer mit Aussicht
- anna überall bei Auf nach Paris
- Andrea Isler bei Stilleben
- Ro12 bei Bildermacher
- Albert Reifler bei Zimmer mit Aussicht
Archive
- November 2014
- Juli 2014
- Juni 2014
- Mai 2014
- April 2014
- März 2014
- Februar 2014
- Januar 2014
- Dezember 2013
- November 2013
- Oktober 2013
- September 2013
- August 2013
- Juli 2013
- Juni 2013
- Mai 2013
- April 2013
- März 2013
- Februar 2013
- Januar 2013
- Dezember 2012
- November 2012
- Oktober 2012
- September 2012
- August 2012
- Juli 2012
- Juni 2012
- Mai 2012
- April 2012
- März 2012
- Februar 2012
- Januar 2012
- Dezember 2011
- November 2011
- Oktober 2011
- September 2011
- August 2011
- Juli 2011
- Juni 2011
- Mai 2011
- April 2011
- März 2011
- Februar 2011
- Januar 2011
- Dezember 2010
Kategorien