Besonders wenn sie auf dem Weg nach Hause ist, kann sich diese Angst einstellen. Wenn sie ein Martinshorn hört, dann ist ihr erster Gedanke, das Haus, in dem sie wohne, stehe in Flammen. Und sieht sie einen Feuerwehrwagen mit Blaulicht und Sirene an ihr vorbeisausen, dann ist immer die Gewissheit da, ihre Wohnung im dritten Stock brenne bereits lichterloh. Das kann ihr auch auswärts passieren, im Urlaub in einer fremden Stadt: Sie sieht drei Feuerwehrautos, die sich ihren Weg durch Autokolonnen bahnen und ist sicher, dass ihre Wohnung in Flammen steht! Wie oft hat sie sich schon darüber Gedanken gemacht, was sie mitnehmen würde, sollte sie zu Hause sein und sollte eine Feuersbrunst im Haus ausbrechen. Zwei Koffer stehen immer in ihrem Wohnzimmer neben dem Sofa bereit, der eine ist gepackt, den anderen müsste sie ganz schnell noch füllen. Immer wieder packt sie den gepackten Koffer um. Was im Koffer bleibt, sind ihr Reisepass, die externe Harddisk ihres Laptops, zwei Fotoalben ihrer Eltern, ein Album mit eigenen Bildern aus der Kindheit, Briefe aus der Zeit, als sie im Ausland war, einige wenige Lieblingsbücher, die aber im Bücherregal fehlen. Und dann sind noch die beiden Armbanduhren ihrer verstorbenen Eltern im Koffer, Erinnerungsstücke, beide nicht sehr wertvoll, drei Tagebücher von früher. Ob sie im Falle eines Falles schnell genug sein könnte, um die Ersatzbrille, ein zweites Paar Schuhe, ihre Kosmetika, einige Pullover, ihre Lieblingsbluse einzupacken? Und was ist mit ihrem schönen seidenen Schlafanzug? Schon oft ist sie durch ihre Wohnung geschritten und hat sich umgeschaut, sich überlegt, was ihr so sehr am Herzen liege, was sie bei Ausbruch eines Feuers mitnehmen müsste, was ihr wichtig wäre. Mutters Schmuck! Genau. Und zwei, drei Brettspiele. Das Scrabble müsste mit! Und was ist mit der Puppe aus ihrer Kindheit? Aber würde sie Zeit genug haben, um all das einzupacken? Und würde sie auch daran denken? Und was wenn das Feuer von unten her kommen würde, das Treppenhaus bereits verraucht wäre? Sie hat irgendwann gelesen, dass man keinesfalls ein Treppenhaus betreten sollte, in dem bereits dicker Rauch vorhanden sei. Immer wieder denkt sie daran, ein Seil zu kaufen, zwanzig Meter lang und dick genug müsste es sein. Mindestens zwanzig Meter lang. Und sie müsste irgendwo bei einem der beiden Wohnzimmerfenster einen starken Haken anbringen, damit sich das Seil dort anbinden liesse. Und was wenn das Feuer auf der Seite des Wohnzimmers nach oben klettern würde? Auch auf der Seite des Innenhofs müsste im Schlafzimmer gleich beim Fenster ein starker Haken montiert werden. Und während sie sich sieht, wie sie am Seil entlang nach unten gleitet, wird ihr leicht schwindlig und wird ihr klar, dass sie die Koffer nicht würde mitnehmen können, sie müsste sie nach unten werfen. Und was aber, wenn sich einer der beiden Koffer beim Aufprall öffnen würde? Sie würde sich wohl schämen, wenn andere sähen, was ihr wichtig ist. Und überhaupt. Sie hat schon mit der Nachbarin darüber gesprochen, dass sie beide kein Feuerlöschgerät besitzen, auch haben sie kein Feuertuch im Haus. Und dabei ist die Haustreppe eine Holztreppe. Und die Böden aller Wohnungen im Haus sind Parkettböden. Woran hängt sie genau? Sie überlegt es sich immer wieder von neuem. Das kleine Make-up-Etui müsste sie noch einpacken. Genau! Und beim Ausbruch eines Feuers an das Smartphone denken! Gut hat sie keine Katze. Und die Pflanzen? Nein, die müssten da bleiben. Sie kann sich nicht entscheiden, was schlimmer wäre: Ein Feuerausbruch, wenn sie nicht zu Hause wäre? Oder ein Feuer, das sie im Schlaf überraschen würde. Als sie aus der Strassenbahn aussteigt, sieht sie drei Feuerwehrautos, die mit Blaulicht und Martinshorn in ihre Strasse einbiegen. Und sie weiss nicht, ob sie jetzt ganz schnell nach Hause gehen soll oder doch nicht.
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1993 wurde die stadt in der ich lebe überschwemmt. und wir wohnten mitten drin. im untergeschoss lagerten wir winterschuhe, wanderschuhe, skibekleidung, aber auch alte filme, verschnürte liebesbriefe, aufsatzhefte aus der primarschulzeit. die flut kam schnell, wir mussten fliehen, ohne etwas mitnehmen zu können. ausser uns. wir hatten enormes glück, und haben nur die dinge im untergeschoss verloren. die winterschuhe, die wanderschuhe, die skibekleidung aber auch die alten filme, die verschnürten liebesbriefe, die aufsatzhefte aus der primarschulzeit. und wie im regen alles nass und voll schlamm herausgekarrt wurde, war mir einen moment ganz wind und weh. liebesworte im abfallcontainer verschwinden sehen, gefilmte kindheitserinnerungen ade… erst später kam das spüren. wie leicht es einem wird, wenn erinnerungen wirklich nur noch erinnerungen sind. und nicht irgendwo verstaubt lagern. für sich eine wichtigkeit beanspruchen, neben dem leben. dem jetzigen.
einzig wenn ich wandern geh, und die schuhe drückend blasen hinterlassen. dann kann ich mich einen augenblick nach den alten sehnen. die so gut zu meinen füssen passten.
Eine scheckliche Phobie! Nie wird es so sein, dass sie das Richtige, das Gewünschte bei sich hat. Da lobe ich die Gelassenheit von eva-maria. Loslassen – es befreit.
Schauen Sie sich das an! Dieser Ansatz nimmt dem Thema das Phobische und macht aus der Frage eine alltägliche: „It’s a conflict between what’s practical, valuable and sentimental.“
http://theburninghouse.com/