Theodor Herzl, Begründer des politischen Zionismus, ist jedem, der in Israel lebt, vertraut. Seit Jahrzehnten schon hängt Herzls Bild in unzähligen Amtsstuben und schaut er seit Generationen aus den Geschichtsbüchern die Schüler an. Und immer ist es dasselbe Bild: Theodor Herzl steht auf einem Balkon, es ist ein Balkon in Basel, der Balkon von „Trois Rois“, dem vornehmsten Hotel am Platz, Herzl lehnt sich am Balkongeländer, er scheint eine Stelle im Fluss oder auf der anderen Flussseite zu fixieren. Im Hintergrund ist die Mittlere Brücke über den Rhein zu sehen. Herzls Bart ist imposant, der Mann trägt einen schwarzen Anzug oder Cutaway und ein weisses Hemd. 1897 soll er geschrieben haben: „In Basel habe ich den Judenstaat gegründet“. Touristen aus Israel, die Basel besuchen, steuern zielbewusst mit dem Reiseführer in der Hand das vornehme Hotel an, das heute laut Plakette am Eingang zum Kreis der „Leading Hotels of the World“ gehört. Sie gehen durch die Drehtüre direkt zum Empfangsdesk und wollen fragen, wo denn der Balkon sei, auf dem Herzl fotografiert worden sei. Manche kommen aber gar nicht erst bis zur Rezeption, kommen nicht dazu, die Frage zu stellen, denn der Blick des Hotelpersonals ist mittlerweile durch Erfahrung geschult, die Livrierten haben einen Blick für die Israeli entwickelt: Noch bevor die Frage gestellt wird, weist der Hotelportier zur Balkontür hinter dem Lobbycafé hin. Die schwere Glastür ist nicht verschlossen, auch im Winter nicht. Sie begeben sich auf den Balkon, jetzt wird einer nach dem anderen fotografiert. Jetzt nehmen sie die Pose Herzls an. Und immer stützen sie ihren Ellbogen auf das Eisengeländer. Und dann stellen sie das Bild ins Netz, fügen auf Facebook an: „Hier stand Herzl.“ Oder: „Hier hat ER gestanden.“ Mehr müssen sie nicht schreiben. Ihre Freunde zu Hause wissen genau, wer gemeint ist. Doch dann melden sich die Besserwisser: „Das Bild wurde damals ein Stockwerk höher aufgenommen.“ Oder: „Du hättest einen Stockwerk höher gehen müssen.“ Oder: „Und hast du eigentlich auch das Herzl-Zimmer gesehen? Ich war dort, dort ist sogar eine kleine Gedenktafel angebracht.“ Oder auch: „Ist dir klar, dass man nicht weiss, ob das berühmte Bild von Herzl auf dem Hotelbalkon 1897 oder 1901 aufgenommen wurde, Herzl war nämlich zweimal in Basel.“ „Macht nichts“, sagt der Hotelpage, der den Weg zum Balkon wieder weist: „Ob der Hirzel dort zum Rhein geblickt hat oder hier, so oder so hätte er seinen Judenstaat gscheiter anderswo gegründet“.
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