Wie heisst das Musikinstrument, das im zweiten Stockwerk über den Ausstellungsvitrinen hängt? Der korpulente Mann am Eingang des Felicja Blumental Music Center an der Bialikstrasse in Tel Aviv, der die Taschen der eintretenden Besucher des Hauses inspizieren sollte, weiss es nicht. Fragen Sie im dritten Stockwerk bei der Direktion nach, gibt er zur Antwort. Auf dem Weg nach oben mache ich einen Zwischenhalt im zweiten Stockwerk: Da hängt das Instrument, das ich zum ersten Mal bei meinem letzten Besuch im Haus gesehen hatte, es ist ein Alphorn, eindeutig. Das lange Instrument ist arg verstaubt, es muss hier schon seit Jahren hängen. In den Ausstellungsvitrinen sind Partituren und Konzertprospekte sowie Plakate und Ansichtskarten aus den Gründerjahren des Staates ausgestellt, vergilbte Dokumente aus den Anfangsjahren des Israel Philharmonic Orchestra. An zwei Arbeitstischen sitzen Musikstudenten und Mitarbeiter des Musikzentrums, sie trinken Automatenkaffee aus Pappbechern, auch sie wissen nicht, wie das Instrument auf Hebräisch heissen könnte, sie kennen das Instrument nicht, es sei ein Blasinstrument meint einer. Ja, das sieht man dem Instrument ja auch an, wirft eine Mitarbeiterin ein. Keine Ahnung woher das Instrument stamme, wie es gespielt werde. Aus der Türkei etwa? Oder aus Tibet? Sieht es wie ein Shofarhorn, fügt sie an, aber etwas unpraktisch, um damit das Neue Jahr in der Synagoge anzukündigen. Im dritten Stockwerk, wo die Direktion des Hauses sitzt, ist eine Mitarbeiterin am Computer, die sich zunächst nicht daran erinnert, im zweiten Stockwerk ein langes Blasinstrument an der Decke gesehen zu haben. Auch sie weiss nicht, woher das Objekt stammen könnte. Fragen Sie doch im ersten Stockwerk nach, die Bibliothekare wissen in der Regel alles. Ich gehe die Treppe hinunter wieder am Alphorn vorbei und versuche mein Glück bei der Ausleihe. Niemand ist hier, „Hallo“, rufe ich ins Leere. Jetzt wage ich mich in die hinteren Räume, obschon der Zutritt hier strengstens untersagt ist. Ich rufe immer wieder mein „Hallo“, treffe aber niemanden an. Ich habe Zeit, warte im Katalograum, jetzt erscheint eine Mitarbeiterin. Nein, sie weiss nicht, wie das Instrument auf Hebräisch heisse. Und sie hat keine Ahnung, woher das Instrument kommt und ob es schon jemals hier im Haus gespielt wurde. Die Leiterin der Bibliothek werde es wissen. Wieder warten. Als sie erscheint, klärt sich alles auf: Keren Ha’Alpim heisst das Instrument hier. Ein Geschenk eines Schweizers an die Musikologin Edith Gerson-Kiwi in den 50er Jahren. Man erzählt sich, das Instrument sei so lang, dass es im Flugzeug aus der Schweiz kein Platz gefunden hätte, weshalb es am Flugzeugrumpf angemacht gewesen sei und frisch gelüftet in Israel angekommen sei. Und noch nie hätte jemand dieses Instrument hier im Haus gespielt. Und weil das Alphorn so lang sei, hätte sich nirgendwo eine Vitrine für das Instrument finden lassen, weshalb es an der Decke angemacht sei.
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Ihre Gewährsdame in Tel Aviv, sehr geehrter Herr Guggenheimer, mag zwar eine Bibliothekskennerin sein, von einem Alphorn scheint sie nicht viel zu wissen. Dass ich nicht lache: Ein Alphorn auf einem Flugzeugrumpf von Zürich bis nach Israel! Ein Alphorn lässt sich zerlegen und in einer grossen Stofftasche versorgen. Von wegen Flugzeugflügel oder -rumpf: Ammenmärchen. Nicht einmal der Fährimann über den Rhein in Basel kauft ihrer Gewähsrdame diese Story ab. F.Waeber, Luzern