Fünf Jahre sind es her. Oder sogar sechs, ich weiss es nicht mehr. Mein Fahrrad stand im Hausflur, es war nicht angekettet, weshalb denn? Auch die anderen Räder wurden nie mit einem Schloss gesichert. Wer das Haus betreten wollte, konnte das nur mit einem Hausschlüssel tun. Wir im Haus kannten uns alle, niemals hätte einer der Hausbewohner ein Rad gestohlen. Und doch war mein Rad eines Morgens verschwunden. Einfach weg. Ich gebe zu, ich habe mein Rad nicht gekauft. Ich habe das Rad auf dem Weg zur Arbeit vor dem Eingang des Hotels Altstadt gesehen, wo es unverschlossen auch noch am Abend stand. Ich hatte abends beim Vorbeigehen so getan, also ob ich das Rad bloss etwas verschieben wollte, und bin dann einfach davon gefahren. Wo hast du das Rad her, fragte mich Esther, als sie einige Tage später bemerkte, wie ich auf einem neuen Rad zur Arbeit fuhr. Ich murmelte etwas von der städtischen Fahrradbörse, womit sich Esther zufrieden gab. Im Hof der Firma habe ich mein Rad stets abgeschlossen. Man weiss ja nie. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, ob ich das Rad sechs oder sieben Jahre benutzt habe. Ich weiss aber noch ganz genau, wie wütend ich war, als mein Rad eines Morgens nicht mehr im Hausflur stand. Es war mein Rad. Und ich mochte mein Rad. Bloss bei Regen und Schnee bin ich in all diesen Jahren mit der Strassenbahn zur Arbeit gefahren. Mein Rad gehörte zu mir. Vor einer Woche habe ich mein Rad wieder gesehen. Unerhört wie dieser dreiste Fahrraddieb mit meinem Rad verfahren ist. Und wie ist wohl das Rad von Zürich nach Zug gekommen? Auf dem Weg vom Kunsthaus Zug zur nahen Tiefgarage stand das Rad an der Kirchenstrasse vor dem katholischen Kirchgemeindehaus. Die Kette gerissen, der Rahmen verrostet, die Bremskabel geschlissen, die Übersetzungen demoliert, meine schöne Fahrradglocke geklaut, der Dynamo entfernt. Zunächst wollte ich das Rad mitnehmen. Du hast doch schon zwei Fahrräder, was willst du mit diesem Skelett von einem Rad anfangen, fragte Esther. Ich habe das Rad fotografiert. Und diese Zeilen hier sind ein kleiner Nachruf auf mein gestohlenes Rad. Unverschämt, was Fahrraddiebe einem Rad antun können.
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Und ich hab mir flugs ein neues Schloss gekauft, damit mein Fahrrad nicht plötzlich zu deinem wird, wenn du an ihm vorübergehst….EmMi