Das ist Rentaro Taki. Oder präziser: Das war er. Ein Japaner. Ein Pianist und Komponist. In Leipzig schräg gegenüber dem beliebten Café Kowalski an der Ferdinand-Rohde-Strasse und nur einige Schritte von der modernen Hochschule für Musik und Theater steht auf dem Bürgersteig eine Bronzestele, auf der das Profil des jungen Taki zu sehen ist. 1.m 80 hoch ist die Stele. So gross kann der Japaner nicht gewesen sein, meint der Frisör, der nebenan einen Damensalon führt, Japaner seien doch immer kleiner. Ich soll mich nur in den Hof der Hochschule hinstellen, dann würde ich ihm glauben. Bloss ein Jahr lang hat Rentaro Taki an Ferdinand-Rohde-Strasse gewohnt. Das Haus steht schon lange nicht mehr. Ein neues Gebäude ist an dessen Stelle errichtet worden. Thelonious Monk soll Takis Komposition „Kojo no Tsuki“, was „Der Mond über der Burgruine“ heisst, aufgegriffen und variiert haben. Ich habe Freunde gefragt, ob ihnen Taki ein Begriff sei. Fehlanzeige. Ich habe befreundete Musiker gefragt. Kopfschütteln. Leipzig ist eine Musikstadt. Bach und Telemann, Felix Mendelssohn, Richard Wagner und Gustav Mahler, Thomaskirche, Thomanerchor und Gewandhaus sind Namen, die zu Leipzig gehören. Und auch Rentaro Taki. Er sei der Mozart Japans gewesen, heisst es in einem niederländischen Musiklexikon. Dreiundzwanzig Jahre alt ist der Mann geworden, der hier nur kurze Zeit zu Gast war. Er war der erste japanische Musikstudent in Europa. So steht es auf der Bronzetafel in Leipzig. Eine schwere Erkrankung zwang ihn zur vorzeitigen Rückkehr nach Japan, wo er im Jahr 1903 im Alter von 23 Jahren starb. Ob ihm das Klima nicht bekommen ist? Oder war’s Heimweh? Es heisst, er habe an Tuberkulose gelitten. An dem Morgen, an dem ich an der Ferdinand-Rohde-Strasse vor der Bronzestele stehe, ist es kalt in Leipzig. Und der Regen hört nicht auf. Ich entscheide mich angesichts des grauen Himmels für Heimweh: Rentaro Taki mag zwar an Tuberkulose erkrankt sein. Seine Kompositionen, die auf Youtube zu hören sind, klingen so melancholisch, dass ich beschliesse, dass der junge Musiker unter Heimweh gelitten haben muss. Mir fallen ein Mann und eine Frau ein, die auch von weither nach Deutschland gekommen sind, in einer Zeit, in der man wochenlang unterwegs war, wenn man von einem Ende der Welt zum anderen gelangen wollte: In Herrnhut im äussersten Osten Deutschlands sind die beiden Inuit Simon Arbalik und Sarah Pussimek begraben. Beide waren die ersten Inuit Grönlands, die christlich getraut wurden. Von Grönland aus sind sie mit drei weiteren Inuit um 1750 nach Europa aufgebrochen, um bei den frommen Herrnhutern zu leben. Drei der fünf Inuit kehrten etwas später über London nach Westgrönland zurück. Simon Arbalik und Sarah Pussimek aber starben in Herrnhut, „wahrscheinlich aus Heimweh“, heisst es in einer Vitrine im Völkerkunde Museum zu Herrnhut.
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