Heute haben sie vor dem ‚Supersol’ Supermarket an der Arlosorow Ecke Adam Ha Cohen abgemacht: Eine Stunde gemeinsam Lebensmittel einkaufein. Sie schieben zwei Einkaufswagen vor sich her, in der Mittagszeit ist der grosse Laden fast leer, es ist zu heiss, um jetzt Einkäufe zu machen, es ist der beste Zeitpunkt für ihre Tour. Vor der Tiefkühltruhe mit den eingeschweissten Suppenhühnern, Putenschenkeln und Poularden bleiben sie stehen. Sie weist auf einzelne Packungen hin und er tippt Namen auf dem Bildschirm seines i-Pads.
Sie ist nicht zum ersten Mal hier, vorgestern hat sie ihren Weg zwischen den Gestellen durchgeprobt: Am Leergutautomat vorbei zur Bäckereiabteilung, sie hat sich das Angebot der Käseabteilung genau angeschaut und einige Begriffe in ihrem Notizheft eingetragen. Sie würden längere Zeit vor den grossen Gestellen der Gemüse- und Früchteabteilung stehenbleiben. Die Frischfleischabteilung dürfte ein Problem darstellen, weshalb sie sich entschliesst, die Gestelle mit den Wurstwaren und mit dem abgepackten Fleisch beim nächsten Mal nicht zu beachten . Schade, dass sie niemanden hier nach dem korrekten Ausdruck fragen kann: Was wenn er sie danach fragen würde? Ob ‚Förderband’ oder ‚Transportband’ der korrekte Ausdruck für jenen Bereich ist, auf dem die Einkäufe nach dem Scannen weitergeschoben werden? Sollte sie beim Leergutautomaten auch noch auf den Flascheneinschub hinweisen? Nein, den Ausdruck wird er nicht kennen müssen. Sie würden einzelne Früchte in durchsichtige Plastikbeutel legen und an der Obst- und Gemüsewaage die Zahlen üben. Was wenn die Aufsicht sich daran stören würde, dass sie Orangen oder Bananen wieder aus den Beuteln heraus nehmen und im Früchtegestell hinlegen würden? Die Früchte würden ihr sprachlich kein Problem darstellen, ebensowenig die Teigwaren.
„1 Kilo Orangen“ sagt er auf deutsch und tippt auf der Produktetastatur der Waage die Zahl ein, um dann den Preis auf der Etikette etwas unsicher aufzusagen: „Ein Kilo Orangen kostet 4 Shekel und 80“. Wie einfach es mit dem Cottage Cheese ist, wo dieser körnige Frischkäse in Tel Aviv genau so heisst wie in Berlin. „Käse“ als Ausdruck genügt, Frischkäse und Hartkäse bringt sie ihm bei, die Käsesorten heissen ja hier wie dort gleich, was eine wirkliche Erleichterung ist. Nur komisch, dass sie in Israel manche Käsesorten einfach als „gelben Käse“ bezeichnen, damit würde er in Berlin nicht weiterkommen, erklärt sie ihm. So schieben sie die beiden Einkaufswagen von einem Warengestell zum nächsten Regal weiter und nehmen die Namen der Lebensmittel durch. „Fünfhundert Gramm Spaghetti kosten 10 Shekel 99“ sagt er und legt die Packung wieder zurück.
Bei den Non-Foodartikeln lernt er heute die Begriffe Zahnpasta, Duschgel, Haarschampoo, Seife, Körperlotion sowie Rasierklingen kennen. Und sie erfährt, dass er sich nass rasiert. Als er sie dann doch nach dem deutschen Ausdruck für ‚Ham’ fragt, kommt sie in Verlegenheit: ‚Schinken’ sagt sie und kann ihm auf dem Rückweg bei der Vitrine der Wurstwaren keinen Schinken zeigen, weil es hier keinen Schinken geben kann.
Dieses Mal und in drei Tagen wieder ist ihr Übungsort der ‚Supersol’ an der Arlosorow. Und schon macht sie sich zwischen den Gestellen Gedanken darüber, wo sie sich übernächstes Mal treffen könnten: Im Stadtteil Neve Tzedek in einer Kunstgalerie? Oder im Kunstmuseum? „Guten Tag, ich hätte gerne zwei Eintrittskarten für das Museum“, wird er dann lernen. „Wo bitte ist die neue Wechselausstellung?“. „Und wo kann ich meinen Rucksack einschliessen?“. Sie ist Deutschlehrerin, sie unterrichtet weder in einer Sprachschule noch in ihrer kleinen Wohnung. Sie trifft ihre Schüler in der Stadt in Cafés, wenn es darum geht, Grammatik zu erläutern und auf thematischen Spaziergängen, wenn es um praktische Alltagssituationen geht, für die neue Vokabeln benötigt werden. Sie versucht, einen Bogen um so heikle Kapitel wie die Konjugation unregelmässiger Verben zu machen. Sprechen, sprechen und nochmals sprechen, ist ihre Devise. Und wenn es nicht anders geht, erläutert sie Situationen und Begriffe zunächst in Englisch. Dabei lernt auch sie hinzu, denn sie ist erst seit einem Jahr in Tel Aviv, bietet Deutschstunden an, in denen sie Hebräische Ausdrücke kennenlernt. Jeden Tag trifft sie drei bis vier erwachsene Schüler, jeden zweimal die Woche und das an sechs Tagen die Woche, es ist ihre Methode und ihr Angebot hat sich unglaublich schnell herumgesprochen. Seitdem Berlin das bevorzugte Auslandsdomizil junger Israeli in Europa ist, hat sie viel zu tun.