Er hat das Ende kommen sehen. In seiner Garage hat er deshalb von langer Hand Ersatzteile gelagert, die er in den letzten Jahren bei Händlern gezielt zusammengekauft hatte. Originalersatzteile, von denen er ahnte, dass es sie eines Tages nicht mehr geben könnte. Er ist treu. Die Ehe hält schon seit über dreissig Jahren. Und seine Treue zu Saab hält noch länger, fünfzehn Jahre länger. Ich weiss noch, wie ich es kaum glauben konnte: Als ich als Student Ende der 60er Jahre in der Stadt mit dem schwarzen Solex unterwegs war, nie schneller als 30 Km in der Stunde, da besass er bereits sein erstes Auto, einen buckligen Saab 96, den ich damals zwar durchaus stilvoll aber potthässlich fand. Ich gebe zu, ich war neidisch. Wir anderen Studenten durften bestenfalls an Samstagabenden den Wagen der Eltern fahren. Ich weiss gar nicht, wie er sich als Student diesen Wagen damals hatte leisten können. Der zweitürige Saab, dessen strömungsgünstig konzipierte Karosserie den schwachen Zweizylindermotor mit seinem unverkennbar hüstelnden Geräusch zu mehr Dynamik auf der Strasse verhelfen sollte, war schon in den 60er Jahren etwas Besonderes. Heute, 45 Jahre später, fährt er immer noch einen Saab, einen Saab der 900er Typenreihe. Ein Auto aus den 90er Jahren, das es seit langem gar nicht mehr zu kaufen gibt. Von den Einsprengseln aus der Zeit als Saab dem amerikanischen GM-Konzern gehört hat, hält er nichts. Ein Herz von Opel unter einer so starken Karosserie? Nein! Niemals! Sein Saab, der heute angesichts seines Alters eigentlich schon fast als Oldtimer bezeichnet werden könnte, ist noch ein waschechter original schwedischer Saab aus Trollhättan, ein Combi-Coupé ohne amerikanischen Einfluss mit konkaver Windschutzscheibe, mit längs eingebautem Turbomotor und Frontantrieb, mit Sitzheizung für den Fahrer, mit einem Zündschlüssel, von dem saabfremde Fahrer nicht wissen, wie sie ihn herausziehen sollen, ein Wagen mit schweren Türen, bei denen man beim Schliessen unbedingt auf die Finger achten muss, denn diese stahlschweren Panzertüren können Fingerknochen leicht zermalmen. Er sagt, er fahre ein Fahrzeug, das lange als eines der sichersten Autos seiner Zeit überhaupt gegolten und die strengsten US-Sicherheitsvorschriften übertroffen habe. Saabfahrer seien besonders, behauptet er, auf Sicherheit bedachte Menschen, rücksichtsvolle Fahrer. Er hat den Verfall seiner Automarke in den Medien aufmerksam und voller Sorge verfolgt. Er wäre bereit gewesen, Aktien von Saab zu erwerben, nur gab es die nicht an der Börse zu kaufen. Er hat gelitten unter dem Stilbruch zu jener Zeit, als aus Saab während zehn Jahren ein Opelverschnitt wurde und zu der Zeit als der Versuch stattfand, die Automarke mit holländischer Hilfe zu retten. Der Hilfe aus dem Land, in dem in Sachen Personenwagen einst bloss der schwachbrüstige DAF Variomatic kam, traute er zu keinem Zeitpunkt. Er wird seinen echten Saab behalten, schon heute pflegt er ihn liebevoll und fordert den Motor nicht heraus: Für grosse Auslandsfahrten mietet er einen Wagen. Und obschon der Tacho am äussersten rechten Rand der Anzeige die Marke von stolzen 240 Km aufweist, holt er höchstens 120 Sachen in der Stunde aus dem Motor, sein Saab soll noch lange leben. Wie andere Saabfahrer, die allen Versuchungen zum Markenwechsel widerstehen, weiss er über seine Kultmarke bestens Bescheid, erkennt Modelle auf der Strasse sofort, weiss als Saabpurist, welches Modell dem GM-Zeitalter angehört und welches noch durch und durch und bis zur Autoseele aus Trollhättan stammt. Für irgendwann später, wenn sein Auto nur noch an den jährlichen Oldtimer-Corsos wird ausgefahren können, hat er seinen Wagen schon von allen Seiten und an besonderen Orten fotografiert: Sein Saab auf der Alpenpassstrasse, der Saab vor dem Opernhaus, sein Auto im Schnee und auf einer Schotterstrasse. Jetzt überlegt er sich noch, ob er eine dieser Fotografien einem befreundeten Maler geben soll, damit dieser ein Bild in Öl malen könnte, den Saab für die Wand in der Praxis. So wie andere mit einem Schmunzeln den röhrenden Hirschen zeigen, der im Korridor hängt, könnte er erläutern, weshalb er einen Saab in Öl hängen hat.
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