Es dauerte eine Weile, bis ich bemerkte, dass der Mann, der mir in der Strassenbahn gegenüber sass, in seiner schwarzen Einkaufstasche eine Filmkamera versteckt hielt. Zunächst dachte ich an eine neue Videokamera, die er wohl kurz vorher gekauft haben könnte. Andere transportieren grosse TV-Bildschirme in der Strassenbahn oder sperrige Farbdrucker. Weshalb sollte nicht jemand eine Video- oder Filmkamera mit der Strassenbahn nach Hause fahren? Wie seltsam: Das Objektiv der Kamera lugte aus einer Oeffnung der Tasche hinaus. Die Kamera war nicht auf mich gerichtet, sondern auf zwei Herren in schwarzen Anzügen, die etwas weiter hinten und auf der anderen Seite des Gangs sassen. Die beiden Herren unterhielten sich laut und erklärten einem nebenan sitzenden Passagier, dass sie zu einer Kremation unterwegs seien. Das Krematorium, nach dem sogar eine Tramhaltestelle der Strassenbahnlinie 3 benannt ist, ist aber seit Jahrzehnten nicht mehr in Betrieb. Ich machte die beiden Herren daher höflich darauf aufmerksam, worauf sie mich zuerst ungläubig anschauten, dann aber laut lachend reagierten, mir nicht glauben wollten, dass ich Recht haben könnte. Nun entspann sich eine laute Diskussion. Wenn die Haltestelle immer noch Krematorium heisse, dann sei das Krematorium gewiss noch in Betrieb, warf ein Mann ein, der neben den beiden Herren stand. Auch er trug einen schwarzen Anzug, er schien zu den beiden zu gehören, auch er eindeutig unterwegs zur Kremation. Ich hätte Recht, meinte eine Frau, die hinter den beiden Männern sass und sich jetzt ebenfalls einmischte. Die beiden Herren wurden immer lauter, sie begannen, mich auszulachen und laut zu beschimpfen, wollten wissen, wie ich heisse und wo ich wohne. Als die Haltestelle Krematorium im Lautsprecher angekündigt wurde, standen die beiden abrupt auf und machten sich zur hinteren Wagentüre auf, während der Mann mit der Kamera, der mir gegenüber sass unbeeindruckt weiterhin in die Ferne blickte. Jetzt bemerkte ich, dass die Kamera auf mich gerichtet war, der Mann mit der Kamera schaute mich von der Seite an, er schien mich zu filmen, worauf ich nun laut und handgreiflich wurde. Was ihm denn einfalle, mich zu fotografieren. Ich näherte mich der Kamera, deren Objektiv aus der Tasche hervorlugte, ich wollte seine Tasche aus der Hand reissen, was mir nicht gelang, weil ein Herr, der neben uns stand, offenbar ein vierter Mann im Bunde mich mit einem kräftigen Griff auf meine linke Schulter in den Sitz zurückdrückte. Als die Strassenbahn anhielt, stiegen die beiden schwarz gekleideten Herren schnell aus, offenbar wirklich auf dem Weg zum Krematorium, der Kameramann und der kräftige Mann folgten ihnen. Ich war zu perplex, um ebenfalls aufzustehen und hinterher zu laufen. Oder war ich vielleicht einfach zu ängstlich. Ich war auch zu verwirrt. Ob das Krematorium, von dem ich eigentlich sicher war, dass seit Jahrzehnten still gelegt ist, doch noch in Betrieb ist? Dass die Haltestelle Krematorium heisst, gab den beiden Herren Recht. Ich wurde jetzt zusehends unsicherer, wusste nicht, ob nicht die ersten Anzeichen jenes grossen Vergessens mich erreicht hätten. War das so? Oder meine ich es nur? Bin ich diesem Mann mit der Kamera auch wirklich begegnet? Ich weiss es nicht mehr.
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Ausgerechnet du, der der dauernd eine Kamera mit dir herumträgst und Menschen ungefragt fotografierst, ärgerst dich über einen indiskreten Fotografen. Oder hat das Ganze etwa gar nicht stattgefunden?
Versteckte Kamera – auf welchem Sender wird die Szene wohl zu sehen sein ? Oder nur im Kopfkino? In meinem ist ein wunderbarer Film abgelaufen. Gute Geschichte!