Tante Johanna besuchten wir jeden Monat. Immer am ersten Samstag, stets nachmittags um vier. Und immer dauerte der Besuch genau eine Stunde. „So, jetzt müssen wir dann“, sagte Mutter nach einer Stunde und stand auf. Ich weiss nicht, was wir nach einer Stunde mussten. Aber ich denke, dass diese Besuche meine Eltern ebenso langweilten wie mich. Tante Johanna war uralt. Zwar erst gegen die siebzig. Aber als ich sechs war, waren Menschen um die siebzig wirklich steinalt. Tante Johanna war zwar keine wirkliche Tante. Aber sie war irgendwie mit meinem Vater verwandt. Wie ich diese Besuche hasste. „Bist wieder so gewachsen“, sagte sie jedes Mal. Oder: „Was möchtest du werden, wenn du gross bist“? Ich musste immer neben meinen Eltern auf dem Sofa sitzen. Die Besuche schienen kein Ende zu nehmen. Tante Johanna gab meinen Eltern zum Abschied immer wieder eine Packung mit Süssigkeiten mit. Das konnte Konfekt sein, das meine Eltern zwei Monate zuvor ihr mitgebracht hatten. Oder eine Schokoladenpackung, die sie ihr gegeben hatten. Tante Johanna hatte wohl die Uebersicht über diese Geschenke verloren. Und so kam es auch vor, dass wir ihr eine alte Konfektpackung zum zweiten Mal mitbrachten. Dauerte der Besuch länger, gab mir Tante Johanna ein Fotobuch, damit ich beschäftigt war. Es war immer dasselbe Buch. ‚Deutschlands schöne Kirchen’ hiess das grosse Buch, das ich gelangweilt anschauen musste. Irgendwann durfte ich mich mit dem grossen Fotobuch an den Nebentisch setzen. Ich legte das Buch so hin, dass Tante Johanna nicht genau sehen konnte, welche Kirche ich gerade anschaute. Dass ich ein Comicheft las, während die Frauenkirche von München oder der Regensburger Dom vor mir lagen, hat Tante Johanna nicht sehen können. „Wie brav er ist, wie genau er diese Kirchen anschaut“, sagte Tante Johanna zu meinen Eltern. „Er wird sicher später ein Architekt oder Kunsthistoriker wie Onkel Julius werden“.
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wo hast du denn diiiese wohnung gefunden? eine stylistin müsste schon sehr gut sein, um sowas hinzukriegen …und der blogtext ist mit diesem bild förmlich riechbar – bloss weg !!!
dass sich der arme junge beim verabschieden auch noch küssen lassen musste (noch schlimmer als der kuss, den er der tante bei der begrüssung jeweils geben musste) hast du dem leser gnädigst erspart. auch, dass er sich seine wange immer erst abwischen durfte, nachdem die wohnungstür im anschluss an das penible zeremoniell wieder geschlossen war … DiGla