Er hat kein Handy und keinen Computer. Ich bin zu alt dafür, sagt er. Dabei wird er erst nächstes Jahr 70. Andere in seinem Alter schreiben am Computer, chatten und skypen, sind bei Facebook mit dabei. Er schreibt seine Bücher seit Jahren schon und immer noch mit einer kleinen mechanischen Reiseschreibmaschine. Jeden Tag. Zwanzig Manuskriptseiten sind das Maximum eines Tagwerks, meistens sind es bloss sechs bis zehn. Am Morgen liest er zuerst nochmals jene Seiten, die er am Vortag geschrieben hat. Mit einem Bleistift schiebt er noch Worte ein, streicht Sätze und ersetzt andere. Wenn wieder ein Kapitel fertig geschrieben ist, korrigiert er nochmals. Seine Manuskripte sind kryptisch. Das sagt er auch. An seinem letzten Buch hat er vier Jahre lang gearbeitet. Und als der Verleger, der ihm einen guten Vorschuss gegeben hatte, wieder fragte und drängte, da war klar, dass das Typoskript noch vor der Buchmesse würde abgeschrieben werden müssen. Nur dass sich niemand finden liess, der bezahlbar war bei über 600 Manuskriptseiten. Und ohnehin hätte sich keine Sekretärin im Wirrwarr der Korrekturen, der Streichungen und Ergänzungen zurecht gefunden. Im Nachhinein können sich weder sein Lektor noch er daran erinnern, wer die Idee hatte: Ein Inserat in der Zeitung war’s. Und das Angebot eines Architekturbüros, in dem nicht alle Räume belegt waren. Dreissig Personen meldeten sich auf das Inserat hin. Sie alle treue Leserinnen und Leser seiner Bücher. Den Computer stellte ebenfalls das Architekturbüro zur Verfügung. Drei Monate lang diktierte er jeden Tag seinen Roman. Alle Paar Tage sass eine andere Person am Schreibtisch und liess sich den Roman langsam Satz für Satz diktieren. Keine dieser Personen hatte er vorher gekannt. Keiner, der Geld für das Schreiben verlangt hätte. Auf der letzten Seite des Romans sind sie jetzt alle namentlich erwähnt.
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