Kirschholz

Es war ein Haus aus den Zwanziger Jahren. Die Wohnung im dritten Stock, die Hausfassaden renoviert, der Garten gepflegt, die Lage ideal. Knappe fünf Minuten bis zum nächsten Zeitungskiosk, die Post schräg gegenüber, ein Lebensmittelladen um die Ecke, zwei Bäckereien in Gehdistanz und sogar noch eine Apotheke. Zwei Strassenbahnhaltestellen an der nahen Hauptstrasse. Wir waren überglücklich, endlich eine Fünfzimmerwohnung gefunden zu haben. Sie wies sogar zwei Balkone auf! Einzig die Kirschholztäferung machte uns zu schaffen. Dieses dunkle Holz im Wohnzimmer und im Esszimmer strahlte eine Schwere aus, das war uns bereits bei der ersten Besichtigung klar. „Wir schaffen das“, sagte ich zu Esther, die sich noch mehr am dunklen Holz störte als ich mich. Beim zweiten Besichtigungstermin, an dem wir den Mietvertrag unterschreiben konnten, lobten wir die Wohnung nochmals, sicherten der Hausbesitzerin sogar zu, dass wir kinderlos bleiben würden, weder Klavier noch Klarinette spielen, ein Hund ebenso wie eine Katze für uns beide nicht in Frage käme. Esthers Anstellung bei der Stadtverwaltung wirkte seriös, ich hatte wieder meinen einzigen Anzug an, wir machten einen guten Eindruck und bekamen die Wohnung. Nach dem Einzug gingen wir behutsam vor: Ich arbeitete mich möglichst leise mit Brecheisen und Eispickel von Kirschholzplatte zu Kirschholzplatte durch. Nach drei Tagen hatten wir das dunkle Holz nachts aus dem Haus geschafft und in eine Tonne vor der Baustelle in einer Nebenstrasse gekippt. Unsere Wohnung sah jetzt aber so aus, als werde sie demnächst abgebrochen. Uns war klar, dass wir selbst nie in der Lage sein würden, die Wandflächen in den beiden Zimmern so hinzukriegen, wie wir es uns vorgestellt hatten. Jetzt mussten Handwerker her, um die beiden Zimmer zu renovieren. Mit den Handwerkern kam bereits am zweiten Tag Frau Hirzel, die 82jährige Hausbesitzerin, in unsere Wohnung. Uns war schlagartig klar, dass jetzt unser Rauswurf bevorstand, wir hatten etwas getan, das in keinem Mietvertrag vorgesehen war. „Jesses-Marie“ sagte die Alte. „Um Himmelswillen“ kam es noch lauter aus ihr. „Das glaub‘ ich nicht!“. „Wo bin ich denn?“. Sie lief rot an, sie drohte mit ihrem Anwalt, sie verlangte aufgeregt, wir müssten die Kirschholzplatten wieder einsetzen. „Sofort“ sagte sie ausser Atem und fast stimmlos. „Sofort!“. Antonia Hirzel wurde immer unruhiger und immer lauter, was zu ihr gar nicht passte. Die alte Dame lief rot an, sie zitterte am ganzen Körper. „Ich ruf die Polizei an“, schrie sie mich an. „Sie sind gekündigt. Ich schmeisse die hinaus. Sofort“. „Sie ziehen aus. Und sie bringen mir die Wohnung wieder in Ordnung“. Und wieder kam dieses „Sofort“. Sie lief zur Wohnungstür, so schnell wie wir sie noch nie hatten gehen sehen. Wir hörten, wie sie unsere Wohnungstür mit einem empörten Schrei zuknallen liess. Dann folgte ein weiterer, noch hellerer Schrei und ein dumpfes Geräusch, ein Rumpeln. Antonia Hirzel, unsere Hausbesitzerin, war die Treppe hinuntergefallen. Sie lag regungslos auf dem Treppenabsatz zwischen dem dritten und dem zweiten Stock, Augen und Mund offen. Es war zu spät, Antonia Hirzel konnte ihrem Anwalt die Geschichte vom Kirschholztäfer nicht mehr erzählen.

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Eine Antwort zu Kirschholz

  1. B. Hirzel sagt:

    Geehrter Herr G.

    Im kleinen Paket finden Sie ein paar frische Orangen und Äpfel aus dem Bioladen, wegen der Vitamine. Das Essen soll ja nicht das Beste sein. Des weiteren finden Sie eine Tafel Bitterschokolade. Das soll die Stimmung heben. Ich stelle mir vor, dass Sie dies gebrauchen können. Ich hab gehört, Sie werden mindestens 3 Jahre sitzen müssen.

    Ja, das war Pech für Sie, dass meine Schwester Antonia dem Anwalt nichts mehr von dem Kirschholz erzählen konnte. Des einen Pech, ist jedoch des andern Glück. Ich bin durch Antonias Tod Alleinerbin des Wohnhauses geworden. Hätte nie gedacht, dass ich das je erleben werde. Und nie zu hoffen gewagt, dass die gründliche Untersuchung durch den kriminaltechnischen Dienst ergibt, dass Antonia Opfer eines Totschlags im Affekt wurde. Pech für Sie.

    Und schade, konnten Sie bei der Beerdigung wegen der Untersuchungshaft nicht teilnehmen. Antonia wurde stilvoll begraben. In dunkler Kirsche.

    Hochachtungsvoll

    B. Hirzel

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