Charles Simic, ein aus Belgrad stammender amerikanischer Autor, schreibt, dass Toiletten „die verkannten Kulturstätten des Alltags“ seien. Er preist die Toilette als jenen Ort an, in dem es sich etwa ziemt, Hamlet zu lesen. „Wenn Sie wie ich veranlagt sind, dann müssen Sie auf der Toilette immer etwas lesen“, teilt er mit. Er verkündet es nicht irgendwo, sondern auf einer ersten Feuilletonseite der Neuen Zürcher Zeitung vom 28. April 2012. Lektüre hinter verschlossener Tür bringe Entspannung, meint der bewanderte Experte für lokale Literatur. Ich kenne stille Örtchen in Häusern und Wohnungen von Freunden. Da lagern Kataloge von Ikea oder Manufactum zur Durchsicht, warten Graphic Novels auf konstipierte Gäste, im schlimmsten Fall liegt die neuste Ausgabe der „Weltwoche“ zum Greifen nahe auf dem Wäschekorb. Wenn die Freunde etwas aufgeschlossener sind, kann es auch eine zerlesene Nummer der „New York Review of Books“ sein, die der Wohnungsinhaber hingelegt hat, um auf seinen Bildungsstand und auf seine Sprachkenntnisse aufmerksam zu machen. Gastgeber oder auch Gäste überfliegen hinter verschlossener Tür die Angebote im Katalog oder lesen sich durch Vorspänne einzelner Texte, sie machen sich stiekum vertraut mit Hamlet oder einem Zeitgenossen. Wie verhalten sich aber jene Gäste in den Toiletten der besten Konditorei Kölns, dem Café Reichard, das für sich mit „Prunkstücken der Mehlspeisenküche“ wirbt und wo es mit Blick auf den imposanten Dom köstlichen „Genfer Baumkuchen mit Cointreau abgeschmeckt“ für 4,10 € gibt oder „Marillenstrudel nach Kremser Rezept mit Vanillerahm und Zimtzucker“ (6,50 €) ? Hier warten im Untergeschoss blitzblanke moderne Toiletten auf die Gäste. Das Problem, das sich hier stellt, ist eigentlich nur, wie kann man die Lektüre, mit der man sich zurückgezogen hat, hinter einer blitzblanken Glastür für sich behalten, ohne dass gleich neugierige Passanten sehen, ob man jetzt die BILD Zeitung oder das Neue Deutschland liest? Eigentlich ist dies das einzige Problem, das sich engagierten Lesenden im unteren Bereich stellt. Nicht wahr?
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… ist doch echt demokratisch: An dem Örtchen sind wir alle gleich (bei niemandem riechts nach Veilchen). Also können wir doch auch die Lektüre demokratisieren und gemäss modernster Lebensweise gleich wie auf den sozialen Netzen wirklich alles preisgeben. Einen Effekt wird die Transparenz hier zeitigen: Die Sauberkeit des Ortes wird gewahrt bleiben.
D’abord vous recommander la lecture de cette page:
http://www.cafe-reichard.de/sanitaerexclusiv/index.php