Bitte schreiben Sie doch „Für Maria“. Könnten Sie bitte noch einen kleinen Satz anfügen, mein Mann bewundert nämlich Ihre Bücher. Er kennt das: Nach der Lesung stehen sie an, eine lange Reihe von Lesern, alle mit dem neuen Buch in der Hand, aus dem er eben vorgelesen hat. „Unser Autor signiert gerne nach der Lesung sein Buch“ sagt die Moderatorin jeweils. Es ist immer dasselbe. Nach der Lesung setzt er sich an einen kleinen Tisch, er muss signieren. Am schwierigsten ist es, wenn sie darum bitten, einen fremden Namen noch hinzuschreiben. Dann lässt er sich den Namen auf einem Zettel schreiben: Matthias mit einem t oder mit zwei? Christoph mit ph oder f. Er hat mit den Jahren und mit den Lesereisen hinzu gelernt. Er selber besitzt kein einziges Buch mit einer Widmung. Er versteht die Menschen nicht, die sich eine Unterschrift im Buch wünschen. Er weiss, dass die Leute sich das Datum, den Ort und seine Unterschrift wünschen. Und wenn der letzte Leser an seinem Signiertisch vorbeigegangen ist, dann kommt immer noch die Buchhändlerin mit einem Stapel vorbestellter Bücher. In jedem dieser Bücher steckt schon ein vorgeschriebener Zettel. Er schreibt dann ab, widmet das Buch an Maja Steinmann oder René Ebel, er schreibt mit seinem Füllfederhalter Namen von Menschen ab, die er nicht kennt, die sich nicht einmal die Mühe genommen haben, an seine Lesung zu kommen. Manchmal schreibt er auch noch „Zum Geburtstag von Anna“ oder „Zum 50. Geburtstag alle Liebe“ und darunter setzt er seinen Namen hin mit Datum und Ort. Jahrelang hat er diesen Dienst getan. Manchmal dauert das Signieren eine halbe Stunde oder noch länger. Anschliessend muss er mit dem Moderator, mit der Buchhändlerin, mit dem Lokaljournalisten oder der Leiterin des Literaturhauses und deren Partner auch noch in einer nahen Pizzeria essen. Dann wird es schnell Mitternacht. Und immer kreist das Gespräch um dieselben Fragen. Heute Hamburg, morgen Hannover, übermorgen Zürich, dann Bregenz. Wie er diese Lesungen hasst. Aber der Verlag verlangt es. Das neue Buch muss schnell unter die Leser kommen. Gestern war’s Basel. Und er hatte sich vorgenommen, diesmal nach der Lesung den Saal zu verlassen: Keine Signierrunde dieses Mal, keine Pizzeria, kein Thairestaurant diesmal. Und auch in Zukunft nicht. Er hatte sich vorgenommen, weder eine Migräne noch Magenschmerzen vorzutäuschen. „Ich signiere nicht. Und ich komme auch nicht mit zum Essen.“ Das hatte er Minuten vor der Lesung der Buchhändlerin gesagt. „Sagen sie nichts von einer Signiermöglichkeit. Mein Buch liest sich genau so gut ohne Unterschrift“. Als er die zweite Leserunde hinter sich hatte, bedankte sich der Moderator bei ihm und fügte den berühmten Satz an: „Unser Autor signiert jetzt gerne sein Buch“. Er konnte es nicht fassen. Hatte der Moderator seinen Satz einfach überhört, absichtlich gar? „Ja, ich komme sofort“, raunte er dem Moderator zu. Er tat so, als müsse er noch die Toilette aufsuchen, ging zur Eingangstür, nahm seinen Mantel vom Kleiderhaken und machte sich schnellen Schrittes davon, während bereits eine Menschenschlange neben dem Signiertisch auf den Autor wartete.
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Und sie? Sie überlegt sich jedes Mal, ob sie sich in die Reihe stellen oder nach Hause verschwinden soll. Sie verspürt wieder diese Peinlichkeit in sich aufsteigen. Doch wie würde sich der Autor fühlen, wenn auf einmal niemand eine Signatur wollte. Es widerstrebt ihr, sich anzustellen wie ein Groupie, denn das ist es, was sie von den anderen denkt, sie verhalten sich wie Groupies. Nur schreien die nicht. „Für Rita“, das würde sie nie zulassen in einem ihrer Bücher, sie will darin keine Namen sehen, vor allem nicht ihren eigenen. So antwortet sie jeweils auch dem Autor auf die Frage, was er denn schreiben soll, oder wie ihr Name sei – der Name und das Datum genügt, danke. Weil sie dem „Für Rita, für Elisabeth, für Susanne“ nicht glauben könnte. Es wäre der Gipfel des Theaters. Da sitzt einer und möchte nicht, da steht sie und möchte auch nicht. Ob sie diese Übereinstimmung in dem Spiel reizt? Maler signieren doch auch ihre Werke, was ist dagegen einzuwenden, sagt sie sich während er schreibt. Noch ist die Peinlichkeit nicht gewichen. Doch sie weiss auch, die Signatur wird ihr später einmal ein Faden sein, der die Unwirklichkeit des Gelesenen, des Fiktiven, des Eingebildeten, der ganzen Gedankenwelt der Wirklichkeit anhängt. Nicht das Gelesene an und für sich, sondern den Akt des Lesens, den sie einerseits als lustvoll, andererseits als die Einsamkeit fördernd empfindet, verstörend, denn wie kann sie wissen, was genau von dem was sie denkt, durch dieses Konglomerat an Hängengebliebenem beeinflusst wird. Sie will es orten, dem Autor zurückgeben. Sie würde auch kein Buch signieren lassen, welches sie nicht bereits gelesen hat. Manchmal nimmt sie ein Buch hervor, in dem sie eine Unterschrift vermutet, ich war da, ja, ich erinnere mich. Den Autor gibt es tatsächlich, er hat eine Stimme, und dieser Mensch hat sich all dies ersonnen. Tagelang, wochenlang hat sie sich mit dem Geschriebenen herumgeschlagen, soll er auch zeichnen dafür. Und sie, sie hat sich wieder einmal aus dem Kokon herausgewagt und unter das Publikum gewagt. Sogar in die Reihe gestellt hat sie sich, sie kann es nicht fassen. Wie konnte sie nur. Manchmal prüft sie ihr Gedächtnis, ist überrascht, in einem Buch eine Signatur zu entdecken, sie weiss nicht mehr, wie sie hineingekommen ist. Die Verwirrung ist komplett, sie nimmt sich vor, es künftig bleiben zu lassen.