Anderthalb Stunden soll die Veranstaltung dauern. Das Thema: „Jüdischer Witz – Jüdischer Humor“. Ich suche sieben Personen, die je vier bis sieben Witze mitbringen, um sie vor Publikum zu erzählen. Zwischendurch soll über die Eigenschaft der jüdischen Selbstironie gesprochen werden. „Schöne Idee“, sagen Freunde. Und jeder kennt sofort einen Arzt oder eine Psychologin, eine Krankenschwester oder eine Physiker, die auf wunderbare Art und Weise jüdische Witze erzählen können. Ich solle unbedingt Mandel fragen. Wenn der einen jüdischen Witz auf Jiddisch erzähle, könne man sich vor Lachen nicht halten. Ich sammle Namen und Adressen und beginne Bekannte und Menschen, die ich nicht kenne, telefonisch und per Mail anzufragen. Blaustein müsse ich anfragen, unbedingt. Und Goldenbogen. Und ob ich an Nissenbaum und Seligmann gedacht hätte? Auf Anhieb habe ich elf Namen beisammen. Ich rufe an. Herr Kornfeld hört mir aufmerksam zu. Ja, er kenne eine Menge jüdischer Witze. Ob ich den kenne? Noch bevor ich reagieren kann, legt er los. Dann brüllt er am Telefon, muss selber über den Witz lachen, den er gerade erzählt hat. Und ja, er hätte noch weitere auf Lager. Apropos Lager: Ob ich den kenne? Und schon wieder lacht er laut. Ich stelle fest, Kornfeld könnte mitmachen. Doch dann zieht er sich zurück. Nein, vor Publikum doch lieber nicht. Man könnte die Witze falsch deuten. Ich solle Herrn Rosenbaum anfragen. Rosenbaums Antwortmail kommt umgehend. Ja, er kenne viele Judenwitze. Aber er könne es sich als Versicherungsagent nicht leisten, in der Öffentlichkeit als Witzeerzähler aufzutreten. In der Jugend hätte man ihn schon nicht ernst genommen, weil er so viele Witze erzählen konnte. Das dürfe nicht nochmals passieren, den Ruf wolle er nicht nochmals haben. Fragen Sie Goldfarb, schreibt er. Sagen Sie Goldfarb, ich hätte ihn empfohlen. Goldfarb ist ein begnadeter Erzähler. Ich erreiche Goldfarb am Telefon. Nein, er könne nicht mitmachen, er liebe zwar jüdische Witze, könne sie sich aber nicht merken, verwechsle sie, bringe sie durcheinander. Und dann erzählt er doch einen Witz: Karl Marx treffe in Jerusalem vor der Klagemauer Marilyn Monroe . Ich unterbreche Goldfarb, denn wo soll das hinführen, wenn er Witze durcheinanderbringt. Karl Marx sei doch lange vor der Monroe gestorben, sage ich ihm. Sie sind ein Witzeverderber, Sie verstehen nix vom jüdischen Witz, brüllt er mich an und hängt auf. Frau Malinsky steht auf meiner Liste, sie sei eine wunderbare Witzeerzählerin, hatte Zederbaum gesagt. Sie sei für mein Vorhaben wie geschaffen. Ich schreibe Frau Malinsky eine Mail und erkläre, weshalb ich Witzeerzähler suche. Zwei Tage später kommt eine Mail von ihr: „Wenn man über die Witze, die an Ihrem Anlass erzählt werden, so lachen kann, wie ich über Ihre Anfrage, dann wird der Anlass zu einem Erfolg. Ich liebe gute jüdische Witze, kann sie aber weder erzählen, noch im Kopf behalten, deshalb bin ich völlig ungeeignet für diesen Job. Ich wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg bei der Suche und grüsse Sie“. Ich will nicht aufgeben und kontaktiere deshalb Herrn Silberzweig, der sich über meinen Aufruf „aufrichtig freut“. Aber leider könne er am betreffenden Tag nur vormittags vor 9 Uhr mitmachen. Am Nachmittag heirate die Tochter seiner Cousine zweiten Grades und er hätte sich verpflichtet, von 10 Uhr an bei der Vorbereitung des Buffets zu helfen. Ein anderes Mal gerne. Wirklich gerne. Ich solle Kohn fragen. Ich kontaktiere Kohn. Ach, eine wirklich tolle Idee, sagt er am Telefon. Ob ich auch an der Tagung zum Thema „Der jüdische Humor gestern-heute-morgen“ in der Evangelischen Akademie Tutzing teilgenommen hätte? Ich muss passen, ich war noch nie in Tutzing. Wo liegt Tutzing, frage ich. Na, er sei dort gewesen: Drei Tage Witztheorie, viel Sigmund Freud, viel Psychoanalyse. Vor Publikum soll ich Witze erzählen?, fragt er. Ob da auch Nicht-Juden im Publikum seien? Na ja, in diesem Fall sorry, aber dann könne er nicht mitmachen. Nicht-Juden verstünden jüdische Witze nicht. Mein Pech. Ich habe den Saal schon gemietet. 70 Sitzplätze weist der Raum auf. Und alle, denen ich von der geplanten Veranstaltung erzähle, finden die Idee so gut. Auch meine nicht-jüdischen Freunde. Gerade die sind begeistert und bieten sich als Witzerzähler an. Kaiser ist der erste, er könne das. Vögtlin sagt, er werde sich einfach Witze anlesen und sie auswendig lernen. Hirzel macht mit, er habe Salcia Landmanns Buch „Der jüdische Witz“ seinerzeit gelesen und köstslich amüsiert. Ich halte mich zurück. Ich habe Landmanns Buch damals miserabel gefunden. Soll er! Reichlin erzählt am Telefon, er habe alles von Ephraim Kishon gelesen. Kein Problem. Vögtlin, Hirzel, Reichlin, Bruderer, Mächler, Egger und Frauchiger: Es sind sieben. Der Abend kommt zustande. Sieben Nicht-Juden erzählen Judenwitze. Und das Publikum: Goldfarb und Kornfeld sitzen im Saal. Und auch Malninsky und Rosenblum, Schwarzbarth und Oppenheim. Und nach jedem Witz kommt es zu heftigen Diskussionen, einmal fast zu einem Krawall. Wie ich denn auf die Idee gekommen sei, so schlechte Witzeerzähler auszuwählen?
Sonntag, 2. September, 14.00 Uhr im Theater Bühne S im Bahnhof Stadelhofen, Zürich, „Jüdischer Humor“ im Rahmen des Europäischen Tages der jüdischen Kultur.
Wunderbare Lektüre an einem frühen Samstagmorgen. Und ich werde auch da sein – Eintrag im Kalender gemacht. Ich freue mich, einen Verwandten erzählen zu hören.