Erst beim Aussteigen aus dem Zug hatte ich die Frau bemerkt. Wir sahen uns kurz an, es war ein verlegenes Lächeln. Es konnte sich um eine Künstlerin handeln, ich treffe zu viele Menschen, deren Gesichter ich wieder vergesse. Es war kein Annäherungsversuch, als ich ihr unterwegs zur Bahnhofsunterführung sagte, ich sei nicht sicher, ob wir uns nicht schon einmal begegnet seien. Nein, sie kannte mich wirklich nicht, und es gab keinen Hinweis dafür, weshalb ich sie hätte kennen sollen. Aber dann fuhren wir doch mit derselben Strassenbahn, ich nahm sogar einen Umweg in Kauf, und wir machten uns daran, unsere Adressen auszutauschen: Sie schrieb ihre Adresse in mein Notizblock, und ich schrieb meinen Namen und meine Adresse auf ein anderes Blatt meines Notizblocks. Am Hallsteinplatz trennten wir uns, ich musste zu meiner Strassenbahn eilen, wir würden uns in den kommenden Tagen anrufen. Erst beim Aussteigen aus der Strassenbahn vor meinem Büro bemerkte ich, dass mir die Frau in der Eile des Umsteigens meinen Notizblock mit ihrer Adresse nicht zurückgegeben hatte. Mein Notizblock war voll von persönlichen Notizen, die Frau würde sich durch meine Eintragungen lesen, sie würde sich nicht anders verhalten als ich mich in einer solchen Situation. Die Frau würde sich nicht mehr bei mir melden, mir war heiss und kalt zugleich. Wie konnte es passieren, dass die Fremde vom Zug mit meinem Notizheft, mit ihrem Namen und mit ihrer Adresse aus meinem Leben ausgestiegen war?
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Das mach ich immer wieder und meistens gelingt es auch. Vielleicht, weil ich ein „Allerweltsgesicht“ habe und damit den vermeintlichen Wiedererkennungseffekt „Sind wir uns nicht schon einmal begegnet?“ erzeugen kann. Früher hat mich dies gestört. Sehr sogar. Bis ich das erste Mal meine Adresse austauschte und dabei versehentlich ein Notizheft mitgehen liess. Spannend, was sich in Aufzeichnungen fremder Leute alles lesen lässt. Seither sammle ich sie gezielt. Die Begegnungen, die Adressen und die Notizhefte. Daraus lassen sich wundervolle Geschichten schreiben. Mein Verleger ist von meiner Erfindungsgabe extrem begeistert. Ich lasse ihn in diesem Glauben. Ich bin gespannt was er zur Geschichte aus Ihrem Leben, werter Herr Guggenheimer, sagen wird. Von unterwegs, wie so oft – die Fremde.