Wenn ich abends heimkomme und mein Briefkasten ist wieder leer, kann es vorkommen, dass ich mit der Hand die Öffnung der Briefkästen links und rechts leicht aufdrücke und neugierig durch die Briefkastenschlitze luge. Meine Nachbarin Frau Franken bekommt regelmässig Post. Mehr Post als ich. Beyers vom ersten Stockwerk haben mehrere Zeitschriften abonniert. Frau Franken leert ihren Briefkasten nach mir, vielleicht weil sie länger arbeitet. Oder weil sie nach der Arbeit noch in der Stadt bleibt und ausgeht. Ich grüsse Beyers und auch Frau Franken, manchmal begegnen wir uns im Treppenhaus vor den Briefkästen, sprechen über das Wetter oder über die Jahreszeit, über das bevorstehende Quartierfest oder über die lauten Nachbarn vom Haus gegenüber. Ich weiss nicht viel über meine Nachbarn, ich bin ein eher zurückgezogener Mensch. Und viel habe ich auch nicht über mich erzählt. „Sagen Sie ruhig Schwartz zu mir, nur Herr Schwartz“, habe ich Frau Franken vor kurzem gesagt, als wir uns vor der Lifttür begegneten. Frau Franken kann nicht wissen, dass ich es war, der sich selbst Post geschickt hat, auf der ich als Herr Dr. phil. Paul Schwartz angeschrieben war. Ich hatte den Brief, der in meinem Briefkasten lag, Frau Franken in den Briefkasten geschoben. Postboten können in der Eile daneben greifen. Vielleicht hat Frau Franken schon mit Beyers über Herrn Dr. Schwartz gesprochen. Ich hoffe es. Ich werde zu gegebener Zeit abwehren und wieder sagen: „Sagen Sie nur Schwartz zu mir“.
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Und vielleicht meint Frau Franken anderntags zu den Beyers: „Habt ihr gewusst, dass der Schwartz ein Doktor ist? Sieht gar nicht so aus. Ob der seinen Titel wohl auch…“ Und die Beyers werden die Schultern leicht anheben, und „jaja, man weiss ja nie“, mit den Augen rollen. „Scheint auf alle Fälle ein komischer Kauz zu sein. Wenn er sich unbeobachtet fühlt, schaut der in sämtliche Briefkästen!“ Die Beyers werden nicken. „Kaum zu glauben, dass so einer wirklich …“ Und sie werden im Treppenhaus schlagartig verstummen, wenn Herr Schwartz aus seiner Wohnung kommt. Nach einer künstlichen Pause grüssen sie ihn mit „Guten Tag Herr Dr. Schwartz.“ Und wenn er sein „Sagen Sie nur Schwartz zu mir“ murmelt, werden sie ihn nicht mehr hören. Weil die Schlagzeilen vom Tag so laut schreien.
Gerade zur rechten Zeit: Was der „Doktor“ zu Guttenberg im Grossen, das ist dieser Herr Schwartz im Kleinen wohl. Steckt nicht in jedem von uns ein kleiner Guttenberg? Oder eben ein Schwartz? Es muss ja nicht immer ein Doktortitel sein.
Ich meine, Ihren neuen Text zu kennen, ihn schon anderswo gelesen zu haben. Kann es sein, dass Sie sich hier eines Plagiats bedienen? Ich sehe schon, Sie lassen sich von den Grossen dieser Welt inspirieren! Eli Maler
Das Bild dieser Brieftaube ist wunderbar. Ich weiss nicht auf welcher Wand du es genommen hast, aber es ist wirklich so nett! Lotte Nur