Die Werbetafel war wie für mich persönlich geschaffen. Ich liebe nämlich die Berge! „Höhenluft. Natürlich, schneller abnehmen“. Die Reklame versprach eine „Höhenluftdiät“. Seitdem ich etwas mehr als 80 Kilo schwer bin, versuche ich abzunehmen. Zuerst hatte ich damit begonnen, weniger zu essen. Das ging gut, fünf Kilo weg in vier Monaten. Aber dann kamen der Herbst und die Wildsaison. Unwiderstehlich diese Gerichte. Und anschliessend kam der Winter mit Fondue und Raclette und etwas später die Weihnachtszeit mit Christstollen und Weihnachtsgans. Ich habe mir als Gegenmassnahme einen Hometrainer angeschafft. Einige Wochen lang habe ich das Trainingsprogramm auch durchgehalten. Ich bin in der Wohnung bergauf gefahren. Ich habe versucht, die 20 Kilometer pro Stunde während einer dreissig Minuten zu halten. Zu Beginn radelte ich jeden zweiten Tag gegen mein Gewicht, irgendwann war mir diese Fortbewegung ohne wirkliche Fortbewegung zu blöd. Kurz nachdem ich vier Kilo abgenommen hatte, zeigte die Waage im Badezimmer wieder unfreundliche Zahlen jenseits der 80 an, worauf ich die Waage im Kleiderschrank verstaute, um nicht jeden Morgen nach dem Aufstehen, in eine depressive Verstimmung zu geraten. Mein Gewicht blieb stabil, wenn auch auf hohem Niveau, meine Hemden begannen wieder zu spannen, die meisten Hosen mussten im Schrank bleiben. Pillen und Diäten nützen nichts, sagte mein Hausarzt. Bewegung, keine Süssigkeiten, keine Zwischenmahlzeiten, weniger Essen. Andere Methoden gibt es nicht, meinte er. Das war so, bis ich die Reklametafel mit der grünen Aufschrift „Höhenluft“ sah. Ich habe mir im Laden, eine Art Drogerie, den Prospekt zur „Höhenluft“ geben lassen. Und ich habe es so gehalten wie mit den Reiseprospekten. Ich unternehme manchmal Reisen, die ich in der Werbung von spezialisierten Reisebüros entdecke. Aber ich spare mir die Kosten für den Reiseveranstalter, kopiere die ausgeschriebenen Reiserouten, merke mir die Zwischenetappen und buche eine ähnliche Reise als Individualtourist im Netz. So habe ich es auch mit der „Höhenluft“ gehalten. Ich bin für zwei Wochen in die Alpen. Ich war wandern von einer Alm zur nächsten. Ich habe in Alphütten in Sechserzimmern übernachtet, bin bis zu sechs Stunden im Tag gewandert. Die gute Höhenluft, so versprach es die Drogerie im Prospekt, werde helfen: „30 Prozent mehr Gewichtsabnahme in der Höhe, bis zu 4,8 Kilo weniger“, ein stark erhöhter Fettabbau würde mit dem erhöhten Kalorienverbrauch mithelfen. Nach der Wanderung würde ich auf der Waage meine Wunder erleben. Für einmal „kein Jo-jo-Effekt“ versprach die Werbung. Und wie sie recht hatte! Ich kam nach zwei Wanderwochen in den Alpen zurück und wog genau gleich viel wie vor den Ferien. Trotz Höhenluft. Trotz der Pro-Sieben-Sendung Galileo. Dabei hatte ich während der Wanderung so sehr darauf geachtet, morgens nur zwei Croissants mit Konfitüre und ein Müsli zu essen, mittags bloss drei Sandwiches mit Käse/Salami oder Schinken/ Käse zu mir zu nehmen und abends nach der Ankunft in der nächsten Bergunterkunft nicht mehr als zwei Flaschen Weizenbier zu trinken und ein Abendessen zu bestellen, wobei ich stets darauf geachtet habe, zu den Antipasti kein Brot zu essen, mir keine Pasta nachschöpfen zu lassen. Beim Hauptgericht nach der Pasta verzichtete ich auf eine dritte Beilage und die Panna Cotta mit Schlagrahm, die es jeweils vor dem Dessertkäse gab, war wirklich nie zu üppig.
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