„Im Matthäusevangelium wirst du die Stelle finden“. Es waren wohl die Tauben auf dem Wartehäuschen der Strassenbahn, die unser Gespräch auf Tiere in der Bibel lenkten. Richard ist bibelfest. „Man müsste die Tauben in der Stadt dezimieren“, meinte er. So wie Jesus seinerzeit die Taubenverkäufer aus dem Tempel vertrieben hätte. „Matthäus 21.12“, fügte er an. Ich schaute Richard etwas verdutzt an. „Ganz sicher, du wirst die Taubenverkäufer dort finden“. Am selben Abend noch habe ich die leicht verstaubte schöne Inselausgabe des Neuen Testaments aus dem Büchergestell geholt. Ich weiss nicht, wann ich diese Dünndruckausgabe zum letzten Mal in Händen hatte, es muss lange her gewesen sein. Ich sollte die schönen Geschichten des Alten und Neuen Testaments häufiger lesen, dachte ich beim Blättern des Inhaltsverzeichnisses. Dann würde ich beim Besuch romanischer und gotischer Kirchen, die ich so liebe, manche Wandbilder schneller verstehen und interpretieren können. Ich schlug das Evangelium nach Matthäus auf und staunte nicht schlecht, als ich auf der ersten Seite, dort wo der Stammbaum Jesu nachzulesen ist, drei blaue Geldscheine fand, drei Hunderternoten, 300 Schweizer Franken. Ich konnte mich nicht erinnern, das Geld dort hingelegt oder versteckt zu haben. Ich war etwas ratlos und froh zugleich. 300 Franken an einem Abend geschenkt. Obschon, geschenkt war das Geld nicht, denn ich musste die drei Geldnoten dort verborgen haben. Ich hatte keine Ahnung, weshalb das Geld dort lag. Wie lange wohl schon? Ich rief Richard an, erzählte ihm, was ich im Evangelium nach Matthäus gefunden hatte. „Du solltest häufiger die Bibel lesen“, sagte er, „du wirst sehen, Bibellektüre macht reich“. Ich habe es in den kommenden Tagen versucht. Aber weder im Galaterbrief noch in der Offenbarung des Johannes fanden sich weitere Banknoten. Ich schüttelte das rot eingebundene Neue Testament kräftig aus, worauf nur noch die vergilbte Kaufquittung herausfiel. Kaufpreis 19.90 Euro, erstanden in der Dombuchhandlung am Frauenplatz 14a / Eingang in der Löwengrube in München. Und ja, die Taubenverkäufer kommen im Matthäusevangelium wirklich vor.
Michael Guggenheimers Website:
-
Neueste Beiträge
Neueste Kommentare
- inge reisinger bei Zimmer mit Aussicht
- anna überall bei Auf nach Paris
- Andrea Isler bei Stilleben
- Ro12 bei Bildermacher
- Albert Reifler bei Zimmer mit Aussicht
Archive
- November 2014
- Juli 2014
- Juni 2014
- Mai 2014
- April 2014
- März 2014
- Februar 2014
- Januar 2014
- Dezember 2013
- November 2013
- Oktober 2013
- September 2013
- August 2013
- Juli 2013
- Juni 2013
- Mai 2013
- April 2013
- März 2013
- Februar 2013
- Januar 2013
- Dezember 2012
- November 2012
- Oktober 2012
- September 2012
- August 2012
- Juli 2012
- Juni 2012
- Mai 2012
- April 2012
- März 2012
- Februar 2012
- Januar 2012
- Dezember 2011
- November 2011
- Oktober 2011
- September 2011
- August 2011
- Juli 2011
- Juni 2011
- Mai 2011
- April 2011
- März 2011
- Februar 2011
- Januar 2011
- Dezember 2010
Kategorien
Bei mir ist es ganz einfach: im Morgenstern sind die Schweizer Franken und im Ringelnatz die Euros. Nix Galater oder so. Lesen macht reich. Anyway.
Hm, habe die Bibel geschüttelt, die ich zur Hochzeit bekommen habe. Kein Erfolg. Gut, das mag daran liegen, dass ich zu wenig gläubig bin oder auch dass ich heute in zweiter Ehe lebe. Ich versuchte auch Morgenstern (Galgenlieder) und Ringelnatz. Ebenfalls ohne Erfolg. Stundenlang habe ich Bücher geschüttelt. Ohne Erfolg. Aber ich weiss: Geld macht nicht glücklich.