Zwei Monate können sie jeweils bleiben. Von Himmelfahrt im Mai bis Mitte Juli. Und von Mitte Juli bis Mitte September. Weder früher noch später, denn das barocke Annexgebäude am Ende des grossen Gartens kann nicht beheizt werden. Zwei Zimmer stehen im Haupthaus, einem spätbarocken Landschlösschen am Rande der Ortschaft zur Verfügung. Zwei Zimmer, in denen der Gast, in der Regel eine Schriftstellerin oder ein Schriftsteller, übernachten kann. Und dann der grosse Raum im Annexbau, das Atelier. Die jungen Besitzer haben das viel zu grosse Haupthaus samt Garten und Gartenhaus vor Jahren mit der Auflage geerbt das geerbte Kapital ausschliesslich für den Unterhalt des Anwesens einzusetzen. Und dann stand noch im Testament: „Gartenhaus und Gästewohnung müssen in der warmen Jahreszeit einem künstlerisch Tätigen zur Verfügung gestellt werden“. Am schwierigsten war es, die Künstler auszuwählen. Musik könnte die anderen Bewohner stören. Ein Bildhauer würde Staub hinterlassen, zudem könnte es Transportprobleme geben. Ein Maler würde Leinwände benötigen. Schriftsteller benötigten nur Papier und Strom für den Computer, so die Überlegung der Erben des herrschaftlichen Anwesens. Das war ein Argument für die Literatur. Seit drei Jahren wohnen nun jedes Jahr zwei Autoren nacheinander im Schlossgebäude am Rande des Städtchens. Manchmal sind es Autoren aus Osteuropa, der deutschen Sprache kaum mächtig. Andere Male sind es Deutsche, Schweizer oder Österreicher. Irgendwann gegen Ende ihres Aufenthaltes findet eine Lesung statt oder ein „Künstlergespräch“ mit dem Gastautor, der dann neue Texte vorliest, die im barocken Gartenbau entstanden sind. Dann kommen die Einheimischen gerne ins Schlossgebäude und hören dem Gast zu, sie bleiben anschliessend lange bei einem Glas Wein stehen und unterhalten sich mit dem Schriftsteller. Einmal kam es vor, dass der Gast aus Stralsund, ein Mittfünfziger mit Bart, zwei Monate lang nichts schrieb, kein Blatt mit seiner Handschrift füllte, kein einziges Mal seinen Laptop benutzen mochte. An der Veranstaltung zu seinen Ehren las er nichts vor, mochte nichts erzählen, er sass da, schaute sich die Besucherinnen und Besucher seiner Lesung freundlich an und schwieg.
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