Verstummt

Einen Handkoffer durfte er mitnehmen. Mehr nicht. Ein vergilbtes Dokument mit der Überschrift „Reisegepäck des Auswanderers Dr. Erich Schimmelmann, 20. März 1938“ ausgestellt von der NS-Devisenstelle Berlin zählt auf, was der Anwalt bei seiner Ausreise aus Deutschland mitnehmen durfte.

Handkoffer, 1 Paar Schuhe mit Leisten. 1 Paar Hausschuhe. 2 Taghemden. 1 Nachthemd. 2 Unterhosen. 1 Kleiderbürste. 1 Fieberthermometer. Rasierzeug. Essbesteck. 1 Pyjama. 3 Sacktücher. 3 Paar Socken. 2 Handtücher. 1 Füllfeder. 1 Füllbleistift. Briefpapier. 1 Wörterbuch. 1 Baedeker Berlin und Umgebung. 1 Brieftasche. 1 Schlafrock. 1 Chromnickelarmbanduhr. 1 Wecker. 2 Krawatten. 1 Herrenhut.

„Die Ausfuhr der verzeichneten Gegenstände wird genehmigt. Diese Genehmigung wird 2 Monate nach ihrer Erteilung unwirksam“.

Anwalt Schimmelmann ist nach Shanghai ausgewandert. Er hat sich retten können. In Shanghai hat er ein kleines Café eröffnet. Eine Zeitlang hat er noch seiner Cousine in Palästina Ansichtskarten geschrieben. Die letzte Karte datiert vom Frühling 1951. Seitdem ist Erich Schimmelmann verstummt. Niemand weiss weshalb. Kein Stolperstein erinnert an ihn. Nur ein Doppel der Liste seines Reisegepäcks ist übrig geblieben. Ob das Wörterbuch ein chinesisch-deutsches Wörterbuch war? Weshalb wohl hat er auf seiner Reise nach China einen „Baedeker Berlin und Umgebung“ mitgenommen? Wohl um sein Heimweh in Grenzen zu halten? Wollte er in der Ferne versuchen, Berlin nicht zu vergessen?

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